Am kommenden Wochenende findet in Bern das True Story Festival statt. 50 Reporter aus über 25 Ländern reisen nach Bern und erzählen dem Publikum an rund 40 Veranstaltungen von ihren Recherchen.
Papageien, die aus Westafrika über Serbien in die Niederlande geschmuggelt werden und für Hundertausend Euro weggehen? Zehntausende von afrikanischen Migranten, die nicht nach Europa wollen, sondern in der Sahara bleiben, um Gold zu schürfen? Ein Chinese, der, noch keine dreissig, bereits 19 Jobs hatte, darunter Heiratsvermittler oder Geldeintreiber? All diese Geschichten werden am kommenden Wochenende in Bern erzählt. Am True Story Festival treten insgesamt 50 Reporter aus dem Ausland auf. 36 von ihnen sind für den True Story Award nominiert, einem globalen Journalistenpreis, der zum Auftakt des Festivals am Freitag Abend im Kursaal vergeben wird.
Das True Story Festival – 2019 unter dem Namen Reportagen-Festival ins Leben gerufen – will einem breiten Publikum Einblicke ins Weltgeschehen verschaffen, die man nicht im alltäglichen Nachrichtenfluss präsentiert bekommt. Natürlich sind auch mediale Dauerbrenner wie der Krieg in der Ukraine, die Lage im Nahen Osten oder das Erstarken der Rechte in Deutschland ein Thema am Festival. Doch im Zentrum stehen für einmal die überraschenden, unerwarteten Geschichten, erzählt von Journalisten vor Ort, die sich auskennen. «Das Festival bietet Gelegenheit, aus erster Hand Einblick in aufwändige Recherchen aus den unterschiedlichsten Weltregionen zu bekommen und sich mit den Reportern und Reporterinnen direkt auszutauschen», sagt die Programmleiterin Rocío Puntas Bernet. Sie ist Initiantin des Festivals und Redakteurin beim Magazin Reportagen. «Wo sonst erfährt man am selben Wochenende vom andauernden Bürgerkonflikt in Kamerun, von den Zuständen in den überfüllten Gefängnissen Teherans, von der Marginalisierung der Roma in Portugal oder dem vermeintlichen Greenwashing des Konzerns Michelin auf Kautschukplantagen in Asien?»
Nebst den vielen Erzählungen, allesamt moderiert von Schweizer Journalistinnen und Journalisten, kann sich das Publikum auch direkt, unter vier Augen, mit Teilnehmern des Festivals unterhalten. Wer schon immer einmal einen Weltreporter wie Jon Lee Anderson oder den französischen «Petit Prince» Patrick de Saint-Exupéry kennenlernen wollte, dem stehen sie und andere Reporter im «Speed-Dating» für jeweils eine Viertelstunde in der Kornhausbibliothek zur Verfügung. Auch für diejenigen Besucher, die sich dem Schreiben widmen, oder es demnächst angehen wollen, gibt es ein entsprechendes Angebot. In Workshops liefern die Schweizer Schriftsteller Urs Mannhart und Seraina Kobler wertvolle Tipps. Ausserdem lehrt Peter Linden, wie man in Zeiten von Netflix Geschichten aufschreibt, und Ariel Hauptmeier, wie KI uns beim Schreiben hilft. In der Demokratie-Bar im Polit-Forum Bern kann man sich zu spannenden Fragen der Zeit vom Reporter ein Getränk servieren lassen. Und am Samstag-Abend findet im Stadttheater eine weitere Ausgabe von «Reportagen Live on stage» statt: Jan Maak und Isabelle Menke präsentieren eine szenische Lesung der aus der Schweiz nominierten Reportage über ein Mädchen, das ein Junge sein will («Ich bin jetzt Lino»).
Kann das Festival im Zeitalter von Fake-News, Lügenpresse und der allgemeinen Medienkrise, dem allem etwas entgegensetzen? Vielleicht ist es nur ein Tropfen auf den heissen Stein, aber ein wichtiger, sagt Puntas Bernet. «Im besten Fall stärken die Begegnungen mit Journalisten und dem Kennenlernen ihrer Arbeit die Glaubwürdigkeit in den Journalismus.» Oder, wie es ein Besucher aus dem letzten Jahr ausdrückte, das True Story Festival sei das beste Mittel gegen Hass, Fremdenfeindlichkeit und Unverständnis – und gegen die zunehmende Polarisierung der Gesellschaft.
Programm
Am Freitag Vormittag (24.5.) besuchen rund 20 Reporter und Reporterinnen Gymnasialklassen in Stadt und Kanton Bern und erzählen von ihrer Arbeit. Am Freitag-Abend wird der True Story Award im Kursaal vergeben. Für die vierte Austragung dieses ersten globalen Journalistenpreises wurden 947 Texte aus 102 Ländern in 20 verschiedenen Sprachen eingereicht. Aus den 36 besten wählt die Hauptjury die drei Gewinner. Mit dabei: der Genfer Karikaturist Patrick Chappatte. Am Samstag und Sonntag (25. / 26.5.) sprechen die Nominierten an über 40 Einzelveranstaltungen über ihre Arbeit und das Leben in ihren Herkunftsländern. Am Samstag-Abend präsentiert das Schauspiel-Ensemble von Bühnen Bern einen der nominierten Texte als szenische Lesung in der Mansarde des Stadttheaters.
Noemi Harnickell