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Sportwissenschaft: Praxis- und Problemorientiert

Gute Karriereplanung im Spitzensport

Michael Schmid: «Der Leistungsaufwand steigt, um an die Weltspitze zu kommen.» Foto: Daniel Zaugg

War Sport vor Jahrzehnten noch hauptsächlich ein Mittel der Zersteuung, ist er heute ein durchkommerzialisiertes Massenphänomen – im Breitensport und im professionellen Spitzensport. So befasst sich auch die Wissenschaft intensiv mit Sport. Wir sprachen mit Michael Schmid vom ISPW der Uni Bern über einige Facetten der wissenschaftlichen Arbeit.

Das Institut für Sportwissenschaft (ISPW) der Universität Bern ist bei Studierenden sehr beliebt und beschäftigt in Lehre und Forschung über 70 Mitarbeitende. Das Sportwissenschaftsstudium dauert für den Bachelorabschluss sechs Semester, die Vertiefung mit dem Masterabschluss erfordert weitere vier Semester. Unser Gesprächspartner, Dr. Michael Schmid, forscht und lehrt als Postdoktorand der Sportpsychologie, insbesondere zur Talentselektion und Talentförderung sowie Karrieren im und nach dem Spitzensport. Als ehemaliger Spitzenruderer – zweifacher Europameister (2017/2018), WM-Medaillengewinner (2014/2018) und Olympiateilnehmer – und als Psychologe, bringt er in beiden Forschungsgebieten vertiefte praktische Erfahrungen ein.

Wie sind Sie zur Sportwissenschaft und Ihrer heutigen Forschungstätigkeit gekommen?
Michael Schmid: Mein Interesse an der Sportwissenschaft begann, als ich mich als junger Ruderer gefragt habe, was hinter Spitzenleistungen steckt. Ich studierte deshalb zuerst Sportwissenschaft, danach Psychologie. Dass ich Sport nach meiner Sportkarriere beruflich treu geblieben bin, hatte mit dem ehemaligen Vize-Rektor der Universität Bern, Prof. Dr. Achim Conzelmann, zu tun. Ich traf ihn zufällig im ersten Trainingslager nach meinem Masterabschluss am Bahnhof S-chanf. Er fragte mich nach meinen nächsten Zielen. Als Spitzensportler stand natürlich der Sport voll im Fokus, beruflich war noch einiges offen. Achim Conzelmann bot mir an, am ISPW als Doktorand in einem Teilzeitpensum einzusteigen, mit der Option, nach der Sportkarriere das Pensum zu erhöhen – im Sinne von: Spitzensport runterfahren und Beruf hochfahren. Zwei Jahre später beendete ich meine Spitzensportkarriere und wiederum zwei Jahre später, 2022, meine Doktorarbeit zu Fragen aus der Talent- und Karriereforschung. In diesen Forschungsbereichen bin ich heute noch tätig.

Gibt es gesellschaftliche Veränderungen, welche starken Einfluss auf den Spitzensport haben?
Natürlich. Spitzensport hat sich beispielsweise. ab Ende der 1980er, nach der Aufhebung des sogenannten Amateursstatus an Olympischen Spielen, sehr verändert. Dieser Prozess hält an. Mit der Professionalisierung und Kommerzialisierung entwickelten sich für Sportlerinnen und Sportler mehr Optionen der Vermarktung, also Geld zu verdienen. Zudem haben sie auch mehr Möglichkeiten, über die Aktivkarriere hinaus im Sport zu bleiben, wie unter anderem als Trainerinnen und Trainer oder im Sportmanagement. Gleichzeitig stieg aber auch der Leistungsaufwand, um an die Weltspitze zu kommen.

Geben Sie uns ein Forschungsprojekt-Beispiel und wie Sie vorgehen.
Ein vom Schweizerischen Nationalfonds finanziertes und von Prof. Dr. Noora Ronkainen geleitetes ISPW-Projekt mit dem Titel «Closing a Chapter: A Longitudinal Mixed Methods Study on Retirement from Elite Sport» befasst sich mit dem Karriereende im Spitzensport. Das Projekt dauert von 2022 bis 2026 und bisher wurden über 2000 aktive und zurückgetretene Schweizer Spitzenathletinnen und -athleten befragt. Wir erfassen deren Lebenssituation und Befinden vor, während und nach dem Rücktritt. Mit diesen Daten gehen wir dann etwa der Frage nach, welche Konstellationen von verschiedenen Einflussfaktoren den Übertritt in das Leben nach dem Sport erleichtern.

Nach Rücktritten vom Spitzensport – die meisten heissen ja nicht Russi oder Federer – sinkt das Interesse an den Athleten, seitens der Medien, Funktionäre und Sponsoren. Was sind dann die typischem Herausforderungen?
Das Leben von Spitzensportlerinnen und -sportlern ist vollständig durchstrukturiert – von Trainingsplänen über Wettkämpfe bis zu weltweiten Reisen. Diese intensive Phase endet mit dem Rücktritt, ein Schnitt, ob geplant oder oft abrupt durch Verletzungen oder Deselektion. Es erstaunt nicht, dass sich viele Sportlerinnen und Sportler bei diesem Übergang auch mit Identitätsfragen auseinandersetzen. So müssen sie teilweise herausfinden, wer sie ausserhalb der definierten Rolle des Athleten oder der Athletin sind, und wie sie ihren Lebenssinn neu definieren können. Zudem braucht es bei den allermeisten auch in beruflicher Hinsicht eine Neuorientierung, da mit dem Sport nicht genügend Geld verdient wurde.

Welche Empfehlungen können Sie «kurz vor Ende der ersten Halbzeit» geben?
Grundsätzlich ist es noch etwas zu früh, da wir noch mitten in der Datenerhebung stecken. Allerdings geht aus der vorhandenen Literatur klar hervor, dass die Vorbereitung auf das Karriereende eine wichtige Rolle spielt. Das kann eine sportbegleitende Berufsausbildung sein. Solche Ausbildungen erleichtern übrigens nicht allein den beruflichen Einstieg, sie sind eine persönliche Bereicherung, man lernt andere Kolleginnen und Kollegen kennen, führt andere Gespräche. Kurz: Wie für Amateure der Sport, wird für Spitzensportler die Ausbildung zum Ausgleich. Die Frage, wo es hingehen soll, wenns mit dem Sport fertig ist, sollte früh gestellt werden.

Engagieren sich die Verbände für diese Parallel-Ausbildung und Planung des Karriereendes genug?
Ja, insbesondere Swiss Olympic, Sportschulen und auch die Universitäten haben hier in den letzten Jahren sehr viel gemacht. So ist es heute viel einfacher eine duale Karriere zu absolvieren.

Was raten Sie jenen, die sich ohne Plan von einem Tag auf den andern umorientieren müssen?
Grundsätzlich ist es sehr wichtig, dass sie sich trauen, Hilfe zu suchen und anzunehemen. Das können sportpsychologische Fachleute oder auch Freunde und Familie sein.

Zum Schluss und ganz allgemein: Gibt es ein Alter, in welchem Sportmuffel gar nicht mehr mit Sport beginnen sollten?
Nein. Allerdings hängt es stark von der Sportart und der Zielsetzung ab. Wenn man in einer Sportart die Weltspitze erreichen möchte, dann ist die Altersgrenze bald erreicht. Doch wenn man einfach Freude an der Bewegung erleben möchte, dann kann man bis ins hohe Alter mit Sport beginnen. Die Sportart sollte jedoch passend zu den individuellen Voraussetzungen und Interessen gewählt werden.

PERSÖNLICH

Dr. Michael Schmid, 36, wohnt mit Frau und zwei Kindern in Luzern. Als Ruderer erzielte er u. a. Europameistertitel. Er studierte sportbegleitend Sportwissenschaft und Psychologie, doktorierte und arbeitet heute als Postdoktorand an der Universität Bern.

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