Ein grösserer Gartensitzplatz, ein Solarpanel, eine neue Wohnsiedlung oder ein neues Fussballstadion. Bauprojekte haben es wegen der Einsprache-Fluten immer schwerer.
Ärgerlich für Bauwillige: es hagelt immer öfter Einsprachen. Warum ist das so? Wir versuchen, die Entwicklung einzuordnen. Die erste Erklärung ist eigentlich logisch: Es wird immer mehr gebaut, dadurch steigt auch die Zahl der Baueinsprachen. Der zweite Grund ist naturgegeben: Die Schweiz ist ein kleines Land mit hoher Bevölkerungsdichte. Dadurch fallen viele Bauprojekte in dicht besiedelte Gebiete und Städte, man kommt sich in die Quere, Ansässige und Nachbarn wehren sich, verteidigen ihr Territorium mit allen Mitteln. Auch die starke Schweizer Tradition der Bürgerbeteiligung und demokratischen Prozesse fördern zurecht eine aktive Teilnahme an Entscheidungsprozessen. Alle können und wollen mitreden und ihre Interessen vertreten. Nicht nur Privatpersonen, auch Interessensgemeinschaften aller Art und die Politik nutzen das Mittel der Baueinsprache als willkommene Bühne zur Profilierung.
Berechtigt oder sogar Nötigung?
Einsprachen sind grundsätzlich legitim, oft auch notwendig. Immer öfter werden aber gesetzeskonforme Projekte aus einer Machtposition heraus verzögert oder aus purer Lust am Widerstand verhindert. So wird Bauen immer mehr zum Spiessrutenlauf. Der Zürcher Professor und Immobilienexperte Peter Ilg äussert sich in der NZZ vom 8. Juni 2024 sehr pointiert: «Mit sehr geringem Aufwand lassen sich Projekte um Jahre verzögern, was dem Bauherrn massiven finanziellen Schaden zuführen kann. Dies verschafft denjenigen, die zu einer Einsprache berechtigt sind, eine starke Machtposition. Wenn man diese Machtposition praktisch kostenlos ausnutzen kann, bringt dies alle diejenigen in Versuchung, die es mit der Moral nicht so genau nehmen. Denn von der berechtigten Einsprache ist es nur ein kleiner Schritt zur Nötigung. So sind die heute gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten von Einsprachen geradezu eine Einladung für halbkriminelles Verhalten.» Weiter meint er: «Erfahrene Anwälte aus der Praxis sagen mir klar: Es geht meist nicht um gerechtfertigte Ansprüche, sondern schlicht und einfach darum, das Bauen auszubremsen und zu verhindern. Wir haben entsprechende Zahlen ausgewertet. In erster und zweiter Instanz werden rund 80 Prozent aller Einsprachen abgewiesen, zurückgezogen, für gegenstandslos erklärt, oder das Gericht tritt gar nicht auf die Einsprache ein.»
Für Immobilienfirmen, Investoren und auch Privatpersonen sind Baueinsprachen zunehmend ein Ärgernis. Sie verzögern oder verhindern Bauprojekte und kosten in der Regel viel Geld. Wir wollten vom erfahrenen Immobilien- und Baurechts-Anwalt Thomas Gysi, Rosat Rechtsanwälte AG, wissen, ob die Schweiz einfach ein Land der Neider und Intoleranten sei? «Tatsächlich ist es in der Schweiz sehr einfach, Einsprache gegen ein Baugesuch zu erheben. Heutzutage muss man grundsätzlich bei jedem Baugesuch mit Einsprachen rechnen. Aus Sicht mancher Bauherren werden Einsprachen teils als Volksport, teils als legale Erpressung bezeichnet. So weit würde ich nicht gehen. Problematisch ist aber sicherlich die lange Verfahrensdauer, die oft, aber nicht nur, auf Einsprachen zurückzuführen ist. Für einige Investoren sind die weitgehenden Einsprachemöglichkeiten und die langen Verfahrensdauern jedenfalls ein klarer Standortnachteil der Schweiz, weshalb sie nur noch im Ausland bauen wollen.»
«Einsprachen müssen begründet und berechtigt sein»
Eine Baueinsprache kann sehr einfach gemacht werden, alles scheint möglich. Kann ich auch gegen das Baugesuch meines Nachbarn – er will eine neue und grössere Garage bauen – Einsprache erheben, nur weil mir der Typ unsympathisch ist? Gysi schätzt ein: «In der Theorie ist das nicht so. Einsprachen müssen begründet und berechtigt sein, da andernfalls nicht darauf eingetreten wird oder diese abgewiesen werden. In der Praxis kommen auch rechtlich unbegründete Einsprachen aus persönlichen Gründen regelmässig vor. Dies hängt auch damit zusammen, dass die Einsprecher bis zur Baubewilligung kein Kostenrisiko tragen.»
Einsprache medienwirksam in Szene gesetzt
Der Verein «Rives Publiques» hat gegen das Bootshaus, welches unser Nationalheld Roger Federer auf seinem Grundstück am See plant, Einsprache eingelegt. Ist diese Einsprache Ihrer Meinung nach berechtigt oder will sich da eine Organisation mit der Bekanntheit eines Superstars medienwirksam inszenieren? «Ich bin nicht in das Verfahren involviert. Der Verein Rives Publiques hat seine Einsprache jedoch online gestellt und damit öffentlich gemacht, übrigens mit voller Angabe der Adresse der Familie Federer. Dieser Vorgang allein zeigt, dass in diesem Fall die mediale Inszenierung möglicherweise im Vordergrund steht. In seiner öffentlichen Einsprache rügt der Verein sehr plakativ, die Bauherrschaft stütze ihr Baugesuch auf ihren Status als «Einfluss-Reicher». Gleichzeitig nützt der Verein den Status des Superstars selbst aus, um ihre politischen Anliegen medienwirksam in Szene zu setzen. Ein Schelm, der Böses dabei denkt.»
Rein egoistische Motive
Gysi hat als Anwalt schon unzählige Bauvorhaben begleitet. Er erinnert sich an einige aussergewöhnliche Beispiele: «In einem Fall scheiterte ein kantonal vorgesehenes Verkehrsprojekt allein daran, dass es rund 1 Quadratmeter durch national geschütztes Auenland führte. In anderen Fällen kommt es immer wieder vor, dass Einsprachen aus rein egoistischen Motiven unter dem Deckmantel selbstloser Themen, wie beispielsweise Umwelt- oder Naturschutz, eingereicht werden. Die wahren Hintergründe der Einsprache werden spätestens dann ersichtlich, wenn für einen Einspracherückzug eine erhebliche Geldsumme verlangt wird, ohne dass in Bezug auf die gerügten Themen etwas am Bauprojekt angepasst wurde.»
Gespräch hilft nicht immer
Oft wird zwischen Nachbarn, Anwohnern und Baufirmen heftig darüber gestritten, was eine legitime Baueinsprache ist. Wie könnten solche strittigen Fälle reduziert werden? «In der Praxis sind oft persönliche Beweggründe ausschlaggebend, ob Einsprache erhoben wird oder nicht. Zu empfehlen ist daher vor der Baueingabe ein Gespräch mit den betroffenen Nachbarn. Dies hilft aber nicht immer. Bauherren müssen daher ein möglicherweise jahrelanges Einspracheverfahren bereits in ihrer Planung berücksichtigen, um nicht erpressbar zu werden. In rechtlicher Hinsicht helfen klare gesetzliche Grundlagen und ein rasches Verfahren zur Minimierung von Einsprachen und deren negativen Folgen.»