Die Altstadt von Bern ist seit 1983 UNESCO-Weltkulturerbe. Der Berner Architekt Claudio Campanile erarbeitet im Auftrag der städtischen Denkmalpflege als Generalplaner mit seinem Team den von der UNESCO verlangten Managementplan. Ein komplexes Projekt, wie das Gespräch mit dem WohnBär zeigt.
Claudio Campanile, wie ist der Stand des UNESCO-Managementplans heute?
Im Sommer 2023 erfolgte die erste Zwischenabgabe an das begleitende, strategische Aufsichtsgremium, an die sogenannte Managementkommission. Nun stehen wir kurz vor der zweiten Abgabe im August dieses Jahres. Wir haben alle im Managementplan vorgesehenen Themenkreise in einer Rohfassung aufgearbeitet. Dieser Teil geht danach in die Vernehmlassung bei den städtischen Direktionen und Ämtern. Es ging dabei um die geschichtliche Aufarbeitung der städtischen Entwicklung seit über 800 Jahren; dieser Bereich ist nun abgeschlossen. Daneben haben wir einen dynamischen Teil mit drei Leitfäden zur Architektur, zur Archäologie und zum öffentlichen Raum. Die definitive Abgabe wird dann im Oktober 2025 sein.
Die UNESCO verlangt von allen Welterbestätten einen solchen Plan. Die Auflagen sind streng. Wie nötig erachten Sie selber einen solchen Managementplan für die Stadt Bern? Bisher lebten wir doch ganz gut ohne …
Eine berechtigte Frage. Nach dem Zweiten Weltkrieg machte sich die UNESCO Gedanken zum Schutz von Kulturgütern, zunächst von Einzelobjekten. Dann stellte man fest, dass es auch Flächendenkmäler gibt, die Altstadt von Bern gehört dazu. 1983 bestand ein Basisentwurf und die
UNESCO erkannte und anerkannte das Schutzgut. Mittlerweile gibt es neue rechtliche und formale Ansprüche. Mit den Grundlagen von 1983 können heute nicht mehr alle Anforderungen abgedeckt werden. Ein Weltkulturerbe hat mittlerweile eine umfassendere Dokumentationspflicht als noch vor 40 Jahren. Wir holen nun mit dem Managementplan nach, was andere Städte, die sich heute um die Aufnahme in die begehrte Liste bewerben, schon bei der Kandidatur erfüllen müssen.
Zum Beispiel?
Was es 1983 noch nicht gab, ist das Schutzgebiet «Pufferzone». Der Welterbeperimeter der Altstadt ist nach wie vor unverändert. Die UNESCO verlangt nun eine Pufferzone rund um die Altstadt, welche zum Schutz und Erhalt des Erscheinungsbildes des Welterbes beitragen soll. Dazu eignet sich die bereits bestehende Aaretalschutzzone bestens. Ich erachte diese Forderungen als nötig und sinnvoll, damit wir uns nahtlos in die Entwicklungen der UNESCO einreihen können. Die zwischenzeitlich gewonnenen Erkenntnisse in Form von neuen Chartas, welche die UNESCO zu verschiedenen Themen erarbeitet hat, fliessen ebenfalls in den Managementplan ein.
Neben den Auflagen der UNESCO gibt es noch die Bestimmungen des Energiegesetzes und der städtischen Denkmalpflege. Besteht die Gefahr, dass die Altstadt zum Museum wird, weil Sanierungen nicht mehr finanzierbar sind?
Wenn wir die Stadt Bern zum Museum deklarieren, erfüllen wir unsere Aufgabe nicht. Wir suchen die Potenziale der Stadt und wollen sie in eine Richtung entwickeln, die für die Stadt förderlich ist. Das macht die Stadt Bern übrigens auch ohne uns seit über 800 Jahren! Die Resilienz, die sie an den Tag legt, ist absolut faszinierend. An diesem Pfad arbeiten wir weiter, wir wollen keine Käseglocke über irgendetwas stülpen. Was viele Leute nicht wissen: Die Stadt Bern hat sich im Laufe der Jahrhunderte stets verändert. Die wenigsten Häuser präsentieren sich noch so wie vor 800 Jahren. Das heutige Bild ist barock mit vorgelagerten Lauben, neuen Fassaden, meist aus Sandstein. Eine unserer Aufgaben besteht darin, zu verstehen, wie die Altstadt bisher entstanden ist und wohin sie sich in Zukunft entwickeln sollte.
Was wird sich mit dem UNESCO-Managementplan ändern?
Am Schutz von 1983 ändert sich überhaupt nichts. Auch unsere Bauvorschriften sind bereits auf diesen Schutz ausgerichtet. Mit dem UNESCO-Managementplan ändert sich weder für Bewohnende noch Besuchende etwas. Es gibt nichts, was strenger wird! Auch für die bereits erwähnte Pufferzone ändert sich eigentlich nichts. Es gibt keine neue Vorschrift, welche die Aaretalschutzzone nicht schon berücksichtigt. Wir schützen unsere Stadt schon lange bevor die UNESCO-Forderung kam, indem wir den Grüngürtel der Aareschlaufe längst als wesentlich erachten.
Und es wird nicht alles teurer wegen steigender Anforderungen?
Nein, im Gegenteil, wir werden in Bern keine einzige neue oder strengere Vorschrift bekommen! Die Altstadt von Bern hat baulich und sozialräumlich die dichteste und vielfältigste Struktur im Kanton Bern. Ich sehe eine grosse Chance, dass wir die seit 1983 erworbenen Erkenntnisse im UNESCO-Managementplan einbringen können. Die inflationäre Entwicklung der Bewerbungen um Aufnahme in die Weltkulturerbe-Liste beweist doch, dass der Benefit dieser Auszeichnung weltweit erkannt wird.
Was setzt der UNESCO-Managementplan beispielsweise mit dem «Leitfaden öffentlicher Raum» in Bewegung?
Mit dem Leitfaden öffentlicher Raum schaffen wir im Plan eine Art Sammelgefäss, worin die Bedürfnisse und Begehrlichkeiten, welche an die Stadt herangetragen werden, aufgenommen und koordiniert werden. Ich denke zum Beispiel an die Testplanung rund um den Bahnhof. Dort wollen wir verschiedene Zeitschichten aufzeigen. Wir müssen den Planern zuerst erklären, wie die Stadt einmal aussah und sich entwickelte. War zum Beispiel der Abbruch des alten Bahnhofgebäudes in den 1970er-Jahren ein guter Eingriff oder war es ein Eingriff, der eine andere Zielsetzung hatte, als wir sie heute verfolgen? Damals genoss der Verkehr im Bereich Bubenbergplatz, Bahnhofplatz und Bollwerk absolute Priorität. Diesen damals so wichtigen Verkehr stufen wir heute anders ein. Der motorisierte Individualverkehr ist zwar immer noch notwendig, steht aber heute nicht mehr im Vordergrund. Wir zeigen den Planern auf, bis wann dieses Gebiet noch ein intakter Stadtraum mit hohen städtebaulichen Werten war und ab wann man begann, eine «Autobahn» durch die Stadt zu bauen. Kurz, wir zeigen auf, wie sich die Stadt Bern städtebaulich in die Zukunft entwickeln könnte. Dazu wird ein topologischer Atlas erarbeitet.
Das heisst, dass künftig bei städtebaulichen Planungen der UNESCO-Managementplan konsultiert werden sollte?
Genau, der Plan sollte lenkende Unterstützungsaufgaben übernehmen und Zielbilder formulieren. In den Aussenquartieren übernimmt diese Funktion das seit mehreren Jahren bestehende Stadtentwicklungskonzept (STEK). Der Managementplan ist behördeanweisend, wird vom Gemeinderat genehmigt und schliesslich via Bundesamt für Kultur (BAK) von der UNESCO bestätigt, es gibt keine eigentümerverbindlichen Regelungen.
Was entpuppt sich im Generalplanerteam als grösste Knacknuss bei der Erarbeitung des UNESCO-Managementplans?
Im Rahmen der Thementische sprechen wir mit den verschiedenen Ämtern der Stadt Bern. Deren unterschiedliche Bedürfnisse zusammenzutragen, Antworten zu liefern und die richtigen Zielsetzungen zu formulieren, ist eine spannende, aber nicht einfache Aufgabe. Der Plan soll unter anderem ein Verständnisdokument sein, das die Qualitäten der Stadt aufzeigen soll.