Stadtentwicklung in der Meienegg

«Wir brauchen dringend Wohnungen»

In der Meienegg im Stöckacker-Quartier in Bümpliz soll ein ganzer Quartierteil in einer etappierten Verdichtung und Transformation neu entstehen. Eine Interessengemeinschaft setzt sich dafür ein. IG-Präsident Jürg Sollberger im Interview.

Mit der eben zu Ende gegangenen Mitwirkung zur Überbauungsordnung ist die Planung Meienegg in eine neue Phase getreten, in den politischen Prozess und in die öffentliche Debatte. Voraussichtlich in der ersten Jahreshälfte 2026 wird es zur Volksabstimmung über das Projekt kommen.  

Die 1948 – 55 vom Architektenpaar Hans und Gret Reinhard erbaute Familiensiedlung war das zweite Bauprojekt der Wohnbaugenossenschaft FAMBAU. Von Beginn an war es ihr Ziel, den Mieterinnen und Mietern preisgünstigen Wohnraum in Kostenmiete zu vermitteln und diesen damit dauerhaft der Spekulation zu entziehen. Inzwischen bewirtschaftet die FAMBAU in Bern über 2000 Wohnungen, ein Grossteil davon in Bümpliz-Bethlehem und verfügt über langjährige Erfahrungen im gemeinnützigen Wohnungsbau. Die im städtischen Bauinventar als «erhaltenswert» eingestufte Siedlung Meienegg ist in die Jahre gekommen. Die Bausubstanz ist in schlechtem Zustand, die Wohnungsgrössen sind nicht mehr zeitgemäss, eine sozial ausgeglichene Zusammensetzung der Mieterschaft ist nicht mehr gewährleistet. Deshalb soll die Siedlung ersetzt werden. Das aus dem Archi­tekturwettbewerb hervorgegangene Siegerprojekt «MEIE» von huggenbergerfries Architekten, Zürich, sieht eine Transformation der Siedlung in mehreren Etappen vor. Es entstehen 330 neue Wohnungen in verschiedenen Grössen und für unterschiedliche Wohnbedürfnisse, zwei Häuserzeilen mit rund 50 Wohnungen bleiben noch mindestens 25 Jahre erhalten. Die neue Siedlung zeichnet sich durch Offenheit gegenüber dem umliegenden Quartier aus, in ihrem Innern bietet sie autofreien Begehungsraum. Der Architekt Jürg Sollberger ist Präsident der Interessengemeinschaft Pro Siedlung Meienegg. Er stellt das Projekt in seinen städtebaulichen Rahmen.

330  

neue Wohnungen 
sollen in der Meienegg entstehen.

Verdichten, wo es Sinn macht 

Jürg Sollberger, warum braucht es die neue Meienegg?
Eine Liegenschaft hält nicht ewig. Die Meienegg wurde in den 40- und 50er-Jahren mangels Baumaterial in einer extrem sparsamen Bauweise erstellt. Das Argument, man könne alles einfach so stehen lassen, stimmt nicht. Früher oder später wird eine umfassende Erneuerung unumgänglich werden.

Welche Bedeutung hat eine Erneuerung im grösseren, städtebaulichen Kontext?
Wir brauchen dringend Wohnungen. Bern wächst, das Ziel bis 2030 sind 15 000 – 20 000 Einwohnende mehr. Die Wohnbaustrategie der Stadt setzt wie in allen Schweizer Städten auf innere Verdichtung. Im Stadtentwicklungskonzept STEK hat die Stadt Gebiete eruiert, wo eine substanzielle innere Verdichtung möglich wäre und auch für das Quartier Mehrwert schaffen würde. Dazu gehört die Meienegg. Sie ist ein Glücksfall, weil es hier den Wohnungsbau geben wird, nach dem gegenwärtig der grösste Bedarf ­besteht, nämlich genossenschaftlich-­gemeinnütziger Wohnungsbau in jener preisgünstigen Kategorie, die uns in Bern fehlt.

2030 

sollen in Bern 15 000 – 20 000
neue Einwohnende leben.

Aber die Mieten der neuen Wohnungen werden trotzdem höher sein als jetzt … 
Genossenschaftswohnungen werden erst mit der Zeit günstiger. Beim Bauen lässt sich nicht sehr viel einsparen, man kann bei den Flächen etwas bescheidener sein und beim Ausbau­standard, aber ansonsten gelten die gleichen Normen und Preise wie überall. Deshalb liegen die Anfangsmieten nicht massiv unter anderen Neubauwohnungen. Weil jedoch die Mieten nicht dem Markt angepasst werden, ist garantiert, dass sie mit den Jahren im Umfeld immer günstiger werden.

Veränderung im Quartier

Die Entwicklungsschwerpunkte Weyer­mannshaus West und Ost grenzen an das Stöckacker-Quartier. Es wird zu starken Veränderungen kommen. Was bedeutet das für den Stöckacker?
Das Quartier wird eine neue Bedeutung erlangen. Es kommen neue Leute ins Quartier, es entstehen neue Arbeits- und Ausbildungsplätze. Das wird Menschen von ausserhalb der Stadt anziehen, die hier auch wohnen wollen. Diesen demografischen Wandel wird auch die FAMBAU nicht abfangen können, er ist eine Folge der Stadtentwicklung, für die nicht eine einzelne Bauträgerschaft verantwortlich gemacht werden kann. Das passiert so oder so, ob nun in der Meien­egg gebaut wird oder nicht. 

Wobei es für das Quartier auch zu viel werden könnte. Lässt man ihm genug Zeit, den Wandel zu vollziehen? 
Das sind lange Prozesse. Im Stöckacker haben sie schon vor zehn Jahren begonnen, als die städtische Siedlung Stöckacker Süd entstand. Ich kenne dort junge und ältere Leute, die begeistert sind, in der Siedlung leben zu können. Es haben sich auch neue Wohnformen gebildet, zum Beispiel getrennte Paare, die übereinander Wohnungen haben, was den Kindern zugutekommt, die dort zudem in die Kita gehen können. In der Meienegg hingegen haben wir heute ein sehr einseitiges Wohnungsangebot, mehr als die Hälfte sind 3-Zimmer-Wohnungen mit 65 qm. Das sind gute Grössen für Ein- oder Zweipersonen-Haushalte, aber eine Familie zieht, wenn sie nicht muss, kaum dorthin.

Ein neues Daheim schaffen

In Bern wird viel gebaut, es gibt immer weniger kostengünstigen Wohnraum in Altliegenschaften. Auch in der Meienegg verschwindet solcher Wohnraum. Wie geht man damit um?
Natürlich ist die heutige Meienegg insbesondere für langjährige Mieterinnen und Mieter ein Daheim. Und das schmerzt schon, wenn man denen ein neues Angebot machen muss, vielleicht nicht einmal in der Meienegg, weil sie sich die neuen Wohnungen nicht mehr leisten können. Doch die FAMBAU hat dank ihrem Portefeuille die Möglichkeit, diesen Leuten Ersatz anzubieten. Sie plant auch im Neubau EL-taugliche Alterswohnungen. Zudem werden 50 Wohnungen erhalten bleiben, 20 Prozent des Bestands.

Wäre das bei einer Gesamtsanierung der bestehenden Siedlung anders?
Auch hier müssten die Mieterinnen und Mieter während der Bauzeit umziehen. Und danach wären die Wohnungen im Verhältnis zu ihrer Grösse und dem Komfort viel zu teuer. Die FAMBAU könnte die Mieten gar nicht um so viel erhöhen, wie sie eigentlich gemäss Kostenmiete müsste. Die dadurch anfallenden Verluste könnten ja auch nicht einfach über andere Wohnungen der FAMBAU gedeckt werden.

Was macht die neue Meienegg zum zukünftigen Daheim?
Der Überbauungsordnung liegt ein gutes und sorgfältig ausgearbeitetes Projekt mit einem breit gefächerten Wohnungsangebot zugrunde, das nach dem Wettbewerb in vielfältiger Weise überarbeitet und angepasst wurde. Dies geschah auch im Dialog mit der Anwohnerschaft der Umgebung. Erika Fries, die Architektin, hat eine sehr differenzierte Aussenraumgestaltung mit einer schönen Abstufung von öffentlich bis privat erarbeitet. Dies schafft gute Voraussetzungen für nachbarschaftliches Wohnen und damit für ein Daheim. Vor diesem Hintergrund hat sich unsere IG formiert. Für sie ist die neue Meienegg ein gutes Beispiel einer gelungenen Innenverdichtung, weil sie etwas Besseres bietet als wir jetzt haben. 

FAMBAU GENOSSENSCHAFT

Die Wohnprofis in Bern West: FAMBAU Genossenschaft

Die Gründung der FAMBAU war eine Antwort auf die Wohnmisere: Sie erfolgte 1945 kurz vor Baubeginn der Siedlung Bethlehemacker, dem ersten grösseren Siedlungsprojekt von Hans und Gret Reinhard, das zweite folgte einige Jahre später in der Meienegg. Die FAMBAU war ein Zusammenschluss verschiedener gewerblicher Genossenschaften, Gipser und Maler, Schreiner und Zimmerleute, Metall- und Baugewerbe sowie die Konsumgenossenschaft.

An Wohnungsbau und -bewirtschaftung in Bümp­liz-Bethlehem ist die FAMBAU bis heute massgeblich beteiligt. Die FAMBAU ist die zweitgrösste Wohnbaugenossenschaft der Schweiz, aber unter den über 3000 Einheiten ihres Port­folios nimmt der Stadtteil VI noch immer den grössten Anteil ein. Als eine der ersten Eigentümerinnen von gros­sen Liegenschaften und Hochhäusern im Westen von Bern hat sich die FAMBAU der Sanierung ihres Wohnungsbestands angenommen.

MODELL FÜR DIE ZUKUNFT

«Die Siedlung Meienegg soll Menschen unterschiedlichsten Alters, Herkunft und Lebensstilen ein Zuhause bieten», schreibt die IG Pro Siedlung Meienegg in ihrem Leitbild. Durch eine Mischung aus verschiedenen Wohnformen und Preissegmenten werde die soziale Vielfalt gefördert. Nachhaltigkeit, Gemeinschaft und Partizipation gehören zu den Leitbegriffen, auf welche die IG bei der Realisation des neuen Quartierteils setzt. Für sie ist die neue Meien­egg ein «Modellprojekt für gemeinnütziges, nachhaltiges und zukunftsorientiertes Wohnen in Bern.»

Die IG will sich, wie Präsident Jürg Sollberger sagt, «den Stadtentwicklungsfragen und der fachlichen Diskussion stellen.» Ihr Ansprechpublikum sieht sie primär in der Quartierbevölkerung, hinsichtlich der Volksabstimmung aber auch unter den Stimmenden der Stadt Bern. Ihnen soll, so Jürg Sollberger, über verschiedene Aktivitäten und Kanäle vermittelt werden, «wie man eine solche Planung sorgfältig entwickeln und umsetzen kann».

siedlung-meienegg.ch

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