
Er hat alles erreicht, was ein Schwinger erreichen kann: König und Sieger am Kilchberger, Unspunnen sowie auf dem Brünig – dazu sieben eidgenössische Kränze. Zeit, um aufzuhören. Eigentlich.
Doch Christian Stucki will mehr. Im Gegensatz zu Giovanni Trapattoni, dessen Aussage an der Pressekonferenz des FC Bayern «Ich habe fertig, Flasche leer», vor 24 Jahren um die Welt ging, ist beim Bösen aus Lyss noch nicht fertig und die Flasche nach wie vor voll. Noch diese Saison, dann soll endgültig Schluss sein.
Obwohl ihn zuletzt immer wieder Verletzungen an Rücken und Schulter plagten, ist der Seeländer gewillt, die Zähne nochmals zusammenzubeissen und hart zu trainieren. «Ich habe mir das lange überlegt, viel diskutiert, auch mit meiner Frau. Was ist, wenn die Schmerzen schlimmer werden. Was passiert, wenn der Rücken oder die Schulter nicht mitmachen? All diese Fragen haben wir uns oft gestellt. Nach reiflicher Überlegung und ausführlichen Gesprächen habe ich mich entschieden, nach dieser Saison endgültig aufzuhören. Im linken Bein hatte ich auch im Alltag immer wieder dumpfe Gefühle, weil eine Bandscheibe direkt auf einen Nerv drückt, auch die rechte Schulter mit einem Sehnenabriss mahnt noch zu Vorsicht, doch das alles ist erträglich. Schliesslich kam ich zur Überzeugung, es nochmals zu versuchen und 2023 voll anzugreifen. Funktioniert es nicht und sollten die Beschwerden schlimmer werden, kann ich immer noch den Notausgang nehmen und mich früher aufs schwingerische Altenteil setzen», so Stucki.
Unspunnen als Höhepunkt
Doch so weit ist es glücklicherweise nicht. Die Höhepunkte folgen Schlag auf Schlag und was ist ein Schwingfest schon ohne den König von Zug, den Sympathieträger par excellence?
«Unspunnen wird der Saisonhöhepunkt und gleichzeitig der Abschluss einer glanzvollen Karriere sein. In Interlaken will ich noch einmal dabei sein.»
Ende August, ein paar Tage vor dem Eidgenössischen in Pratteln, glaubten nur die grössten Optimisten, dass der König seinen Titel verteidigen kann. Auch er selbst zweifelte. Doch am Samstag war er bereit, gewann die drei ersten Gänge souverän – und hätte er im sechsten Gang gegen Nick Alpiger nicht verloren, der Schlussgang wäre mit Christian Stucki über die Bühne gegangen. Dass sich Alpiger mit unfairen Mitteln beim Greifen einen Vorteil verschaffte, sei nur am Rand erwähnt.
«Es war ein grossartiges Fest und ich bin mit meiner Leistung sehr zufrieden», blickt Stucki zurück. Trotz Schmerzen und ohne Wettkampf-Praxis holte er den siebten eidgenössischen Kranz und liegt in dieser Wertung jetzt hinter Karl Meli (9) auf Platz 2. «Ich bin damit sehr glücklich und froh, dass ich meine Kritiker Lügen strafen konnte.»
«Das ist der Seniorenbonus»
Mit seinen Seeländer Kollegen, die bereits wieder im Schwingkeller an der Arbeit sind, greift Stucki derzeit noch nicht zusammen («Das ist der Seniorenbonus»), doch untätig ist er keineswegs. Nach Vorgaben seines Fitness-Trainers Tommy Herzog, bei dem er wöchentlich zweimal in Beromünster trainiert, schwitzt Stucki im hauseigenen Keller. «Täglich 45 Minuten arbeite ich mit leichten Gewichten zusammen mit meiner Frau, das ist nebst dem umfangreichen anderen Programm recht anstrengend.»
Schon bald trainiert Stucki auch wieder im Schwingkeller, zweimal mit den Seeländern in Aarberg oder Biel, dazu kommen die Kadertrainings mit den Kollegen des Bernisch Kantonalen Schwingerverbands.
Man darf sich schon heute auf die neue Schwingsaison freuen – mit Christian Stucki im Sägemehl. Es ist leider die letzte.
Pierre Benoit