Meister YB unter der Lupe

Die wichtigsten Fragen zum Saisonstart

Patrick Rahmen: «Wir streben mehr Spielkontrolle und mehr Variabilität im Spielaufbau an.» Foto: Fabian Hofmann

Hat YB genug Qualität, um den Meistertitel zu vertei­digen? Reicht es für die Champions League? Gibt es wirklich keine weiteren Zuzüge? Der Meister im grossen BärnerBär-Check.

Eigentlich ziemlich irre, was die Super League da gerade veranstaltet. Sechs Tage (!) nach dem EM-Final in Berlin startet die Schweizer Fussball-Meisterschaft am vergangenen Wochenende in die neue Saison. Sicherlich, das war in anderen Jahren schon so – was die Sache aber nicht besser macht.
Für die Berner Young Boys scheint der Start indes etwas zu früh zu kommen: Sie verlieren am Sonntag das Auftaktspiel zuhause gegen Aufsteiger Sion überraschend mit 1:2. Brennt beim Meister also bereits nach einer Runde der Baum?

Das grosse Warten auf Benito
Gemach. Erst eine Runde ist absolviert, das Transferfenster noch bis Ende August offen. Was sich ganz nüchtern festhalten lässt: Der Umbruch bei Gelb-Schwarz blieb aus, ein Grossteil der Mannschaft konnte gehalten werden. Neun Spieler, die vergangene Saison bei den Young Boys regelmässig auf dem Platz standen, dürfen vergangenen Sonntag auch gegen den Klub aus dem Wallis ran.

Ja, es gab den einen oder anderen Wechsel bei YB, den gewichtigsten auf der Trainerposition. Sonst aber? Innenverteidiger Tanguy Zoukrou (21) kam von Troyes aus der zweiten französischen Liga und ist eher ein Versprechen für die Zukunft. Facinet Conte (von Bastia, ebenfalls Ligue 2) ist auch erst 19, der Guineer zog sich im Training allerdings einen Kreuzbandriss zu und fällt monatelang aus. Spieler wie Ebrima Colley, Marvin Keller oder Miguel Chaiwa (die Liste ist unvollständig) sind keine Zuzüge im eigentlichen Sinne, da sie einfach fix übernommen wurden oder ausgeliehen waren.

Im Vergleich zur letzten Spielzeit fix nicht mehr dabei sind Fabian Lustenberger (Karriereende), Aurèle Amenda (zu Eintracht Frankfurt) und Joel Mvuka, den YB, für manche unverständlich, nicht definitiv verpflichten wollte. Und dann gibt es da ja auch noch einige genesene Rückkehrer, allen voran Loris Benito. Noch ist der 32-Jährige nach seinem Kreuzbandriss im Februar rekonvaleszent, sein Comeback ist für Anfang September, womöglich gar Ende August angedacht. Dazu sind Filip Ugrinic und Kastriot Imeri, die beide im Frühling bereits zu Teileinsätzen kamen, wieder an Bord.

«Wir haben ein gutes Kader»
Doch reicht das, um Lugano, Zürich und Co. auf Distanz zu halten? Reicht die Qualität für die Herkulesaufgabe Champions-League-Qualifikation? «Wir haben grosses Vertrauen in jene Spieler, die da sind», sagt YB-Sportchef Steve von Bergen. Gleichzeitig halte man «Augen und Ohren offen für den Fall, dass wir uns noch weiter sinnvoll verstärken können. Ich gehe davon aus, dass es noch Bewegung geben wird.»

Gegen Ende der letzten Saison kam die YB-Maschine zum Glück wieder ins Rollen, am Schluss lag das Team von Interimscoach Joël Magnin satte zwölf Punkte vor Herausforderer Lugano. Doch was, wenn eine Teamstütze wie Meschack Elia abspringt? «Es wird wichtig sein, Abgänge gleichwertig zu ersetzen», meint Trainer Patrick Rahmen. Um dann seinem Sportchef beizupflichten: «Wir haben ein gutes Kader.»

Auf der Goalieposition jedenfalls plagen YB keine Sorgen: David von Ballmoos, Anthony Racioppi und Marvin Keller – alle sind sie tolle Torhüter und wären in den meisten anderen Schweizer Vereinen gesetzt. Die neue alte Nummer eins heisst indes David von Balmoos. Bei Anthony Racioppi wiederum zeichnet sich ein Wechsel in eine ausländische Liga ab, weswegen er gegen Sion nicht einmal mehr auf der Bank sass.

Wann drehen Imeri und Males auf?
In der Verteidigung heissen die Leistungsträger Mohamed Ali Camara (derzeit verletzt), Lewin Blum, Saidy Janko sowie Loris Benito. Dazu erheben Noah Persson und Anel Husic Anspruch auf mehr Einsatzzeit. Jaouen Hadjam entwickelte sich nach dem Abgang von Ulisses Garcia auf der linken Seite schnell zur Stammkraft, erreicht aber – verständlicherweise – noch nicht ganz die Wucht des jetzigen Marseille-Söldners.

Das YB-Prunkstück ist sicherlich das Mittelfeld: Filip Ugrinic, Joël Monteiro und Kastriot Imeri sind etwas vom Besten, was diese Super League zu bieten hat. Den Rücken halten ihnen die zwei vorzüglichen Sechser Cheikh Niasse und Sandro Lauper frei. Und dann tritt Darian Males vielleicht endlich so auf, wie man ihm das – zu Recht – zutrauen darf. «Ich erwarte, dass er nun den nächsten Schritt macht», hält Rahmen fest.

Das Zeichen der Konkurrenz
Wenn der Meister so etwas wie eine Problemzone hat, dann liegt sie im Sturm. Cedric Itten sucht nach seiner Verletzung Ende Jahr noch immer seine Topform. Silvère Ganvoula macht hoffentlich dort weiter, wo er im Mai aufgehört hat. «Er muss beim letzten Saisonquartal ansetzen. Wir brauchen zwei Top-Stosstürmer», meint dazu Patrick Rahmen. Meschack Elia seinerseits ist ein Wirbelwind vor dem Herrn, schiesst aber zu wenige Tore – und gehört zu jenen, denen ein Wechsel noch in diesem Sommer zugetraut wird. Facinet Conte hingegen muss wie geschrieben monatelang pausieren.

«Wir werden alles tun, um den Meistertitel zu verteidigen und im Schweizer Cup so weit wie möglich zu kommen. Aber wir wissen, dass auch die Konkurrenz hohe Ambitionen hat», erklärt Steve von Bergen. Ja, das hat sie. Mit der Verpflichtung von Inter-Mailand-Talent Mattia Zanotti gelang Lugano vor kurzem ein kleiner Transfercoup und sendete damit ein deutliches Zeichen an die Mitbewerber.

YB bereits stark unter Druck
Dennoch dürfen sich die Berner Fans freuen: YB-Trainer Patrick Rahmen wird deutlich attraktiveren Fussball spielen lassen als seine beiden Vorgänger. Das flache 4 – 4 – 2 ist definitiv Geschichte, zudem predigt Rahmen das vertikale Spiel statt, wie Raphael Wicky, im Zweifelsfall den horizontalen Pass. Rahmen: «Wir streben mehr Spielkontrolle und mehr Variabilität im Spielaufbau an.» Alles auf den Kopf stellen möchte der ehemalige FCB-Coach aber nicht. «YB hat eine Ausrichtung, die in den letzten Jahren erfolgreich war. An dieser Grund-DNA wollen wir festhalten.»

Nun sind diese Faktoren allesamt kein Garant dafür, dass die Young Boys in der Liga einfach so durchmarschieren – das hat der vergangene Sonntag eindrücklich gezeigt. Obwohl kein eigentlicher Umbruch vonstattenging, befindet sich die Mannschaft in einem Lernprozess; objektiv betrachtet ist das Team qualitativ gar leicht schwächer aufgestellt als letztes Jahr.

Nach der Niederlage gegen Sion steht die Mannschaft jetzt unter Druck. Die nächsten Gegner heissen Servette und St. Gallen, beide treten zuhause an. YB tut gut daran, eine schnelle Reaktion auf die Auftaktpleite zu zeigen. Sonst brennt der Baum in Bern dann tatsächlich.

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