Meistersaison im Rückblick

So knorzte sich YB zum Titel

Tausende YB-Fans auf ihrem Weg vom Wankdorf zum Bundesplatz. Fotos: zvg

Erst pomadig, dann überzeugend: YB hat eine Saison mit vielen Aufs und Abs hinter sich. Wie der Turnaround gelang und was von dieser Mannschaft bleibt.

Gewankt, gezittert, gewonnen. So lässt sich, ganz kurz und knapp, die YB-Saison 2023/24 zusammenfassen. Haben sich die Young Boys spielerisch entwickelt? Kaum. Sind sie über sich hinausgewachsen? Selten. Haben sie den Meistertitel trotzdem verdient? Absolut. Ein Rückblick auf zehn Monate Höhen und Tiefen.

Die erste Enttäuschung muss YB verkraften, bevor überhaupt ein einziger Ball gespielt ist. Mit Cédric Zesiger, Christian Fassnacht und Fabian Rieder verlassen im letzten Sommer gleich drei Stammkräfte die Mannschaft. Sie werden nicht adäquat ersetzt – oder zutreffender: Ihre Fussstapfen sind für deren potenzielle Nachfolger zu gross. Darian Males kann bis zum Schluss der Saison nie an seine Leistungen beim FC Basel anknüpfen, bei Lukasz Lakomys Auftritten haut es niemanden aus den Sitzen – und dann ist ja noch Silvère Ganvoula, der bis vor ein paar wenigen Wochen durchaus als Fehltransfer bezeichnet werden durfte.

Die pomadigen Auftritte
Qualitativ ist YB im Vergleich zur Vorsaison also schwächer aufgestellt. Und so spielt das Team des damaligen Trainers Raphael Wicky auch: Man gewinnt zwar, die Siege sind aber oft glanzlos (1:0 gegen Aufsteiger Lausanne-Ouchy am 6. Dezember), glücklich (2:1 gegen Lausanne-Sport durch ein Itten-Tor in der 97. Minute am 23. Juli) oder erknorzt (1:0 auswärts gegen GC am 30. September). Wirklich zu überzeugen, wie beim 6:1 gegen Luzern oder beim 3:0 gegen St. Gallen, jeweils im Wankdorf, vermag Gelb-Schwarz nur selten.

Bereits im Frühherbst mehren sich die Stimmen, wonach Wicky nicht mehr der richtige Mann an der Seitenlinie sei. Die Kritiker scheinen recht zu behalten: Bis Ende Oktober liefert sich YB ein Kopf-an-Kopf-Duell mit dem FC Zürich, der in dieser Phase stabiler, kreativer, wacher spielt. Die Berner hingegen wirken träge, pomadig, lustlos. Zeitweise droht der FCZ den anderen zu enteilen. YB droht ein ähnliches Szenario wie 2021/22, als am Schluss im Letzigrund gefeiert wurde.

Die Young Boys wanken zwar, doch sie fallen nicht. Im gleichen Masse, wie Zürich aufgrund der öffentlich geführten, an Peinlichkeit kaum zu überbietenden Trainerdiskussionen um Bo Henrikssen abbaut, legt YB zu. Vor der Winterpause beträgt der Vorsprung auf den mittlerweile drittplatzierten FCZ sieben, auf den Tabellenzweiten St. Gallen auch schon fünf Punkte.

Geruhsame Weihnachtsferien also für Wickys Mannen? Mitnichten. Nach dem letzten Match 2023 gegen Lausanne-Ouchy reden sich gleich zwei Berner Leistungsträger in Rage. «Ich bin wütend», sagt ein hässiger Jean-Pierre Nsame einer welschen Zeitung. Der Stürmer beklagt sich über zu wenig Einsatzzeit. Verteidiger Aurèle Amenda motzt ebenso, wenngleich er sich gemässigter ausdrückt. «Ich bin schon ein bisschen enttäuscht.» Auch der 20-Jährige findet, er stehe zu selten von Anfang an auf dem Platz. Dunkle Wolken am sonst so sonnigen YB-Himmel. Zudem steht hinter Wickys Zukunft in Bern ein grosses Fragezeichen. Wird sein Vertrag jetzt verlängert oder nicht? Die Zeichen stehen auf Abschied. Echter Glauben vom Verein an seinen Trainer sieht anders aus.

Der unrühmliche Abgang
Es kommt, wie es kommen muss: Ende Januar verlässt Nsame, Vereinslegende und dreifacher Torschützenkönig der Super League, die Young Boys. Im Streit. Nsame will zu seinem Lieblingsverein Servette, Sportchef Steve von Bergen hingegen lässt nur einen Auslandstransfer zu. Bei einem Gespräch mit der YB-Führung Ende Januar eskaliert die Situation: Jean-Pierre Nsame soll das Treffen entnervt verlassen und seinen Vorgesetzten die Türe vor der Nase zugeknallt haben. Der Abgang des Publikumslieblings? Stillos.

Und so kickt Nsame fortan für Como in der italienischen Serie B – wo er zwar kaum zum Einsatz kommt, Ende Saison aber in die höchste Liga aufsteigt. Auch Aurèle Amenda reist weiter, zu Eintracht Frankfurt. Allerdings ganz «normal»: Er unterschreibt bei den Hessen einen Vertrag bis 2029 und beendet die Saison mit YB.

Wickys Mannschaft ist fortan angezählt. Mental – und qualitativ. Mit Nsame zieht schliesslich der zu jenem Zeitpunkt beste YB-Skorer von dannen. Und es wird noch schlimmer: YB muss fortan auf die Dienste von Linksverteidiger Ulisses Garcia (in der Winterpause zu Marseille) verzichten, Donat Rrudhani seinerseits wird ausgerechnet dann nach Lausanne ausgeliehen, als er – endlich – zeigt, was er eigentlich kann. Der letzte verbliebene kreative Mittelfeldspieler (Kastriot Imeri ist zu diesem Zeitpunkt rekonvaleszent) – weg! Hinzu kommen die Verletzungen der beiden Stammspieler Loris Benito (Kreuzbandriss) und Filip Ugrinic (Bruch des linken Zehs).

Die heftige Reaktion
Zum spielerischen Mittelmass gesellt sich im neuen Jahr auch noch eine Resultatkrise. 0:1 gegen Servette, 0:1 gegen Zürich, dazu das blamable Out im Cup gegen den Unterklassigen Sion (1:2). YB taumelt, die Konkurrenz holt auf. Drei Pleiten in Serie – das gabs in Bern im nationalen Wettbewerb seit zehn Jahren nicht mehr. Die sportliche Führung zieht die Reissleine: Anfang März muss Raphael Wicky gehen.

Im ersten Spiel unter Interimscoach Joël Magnin zeigt die Mannschaft eine heftige Reaktion. Und spielt endlich so, wie man das von ihr erwarten würde: druckvoll, wuchtig, leidenschaftlich. YB zerlegt einen FC Basel in Unterform im eigenen Stadion nach allen Regeln der Kunst und siegt 5:1. Nur ein paar Tage später folgt allerdings der nächste Rückschlag: In Lausanne setzt es ein 0:2 ab. Der Auftritt der Young Boys? Schwach. Servette reicht ein 2:2 in Luzern, um mit YB gleichzuziehen. Nur dank des klar besseren Torverhältnisses liegt der Meister in der Rangliste noch vorn.

Und doch stabilisiert sich YB sportlich in den folgenden Wochen – Magnin führt viele Einzelgespräche, legt grossen Wert auf Teambuilding. Der stille Schaffer haucht seinen Schützlingen neues Leben ein. Die Massnahmen scheinen zu wirken: Spielerische Zungenschnalzer bleiben zwar weiterhin eher die Ausnahme, wichtiger ist in dieser Phase aber sowieso einfach nur, drei Punkte zu holen. Egal wie. Und das tun die Young Boys. Einzig gegen Lugano müssen sie sich vor eigenem Anhang geschlagen geben.

Die verdiente Krönung
Die Tessiner, sie bleiben bis kurz vor Schluss YBs einzig verbliebener Gegner. Weil Servette plötzlich schwächelt und kaum noch Spiele gewinnt. Zwei Runden vor Ende der Meisterschaft hat Magnins Truppe sechs Punkte Vorsprung auf Lugano, dazu viel mehr Tore geschossen und deutlich weniger kassiert. Theoretisch ist YB nach dem 3:1 gegen St. Gallen schon Meister, nach dem 1:0 auswärts in Genf auch rechnerisch. Es ist der sechste Meistertitel in sieben Jahren, der Kübel geht schon wieder nach Bern. Die Spieler, die Fans, die Klubführung – sie alle feiern die Nacht hindurch. Die Krönung einer zähen Saison ist hochverdient. Selbst wenn YB wohl einfach nur das konstanteste von allen inkonstanten Teams in dieser Liga war, selbst wenn die Konkurrenz sich häufig selbst aushebelte und in entscheidenden Momenten schwächelte.

Was also bleibt von diesem YB 2023/24? In der Chefetage werden die kritischen Stimmen von Fans und Medien als zu hart bewertet. Auch die Spieler selbst reagierten auf bestimmte Fragen jüngst dünnhäutig. Sandro Lauper erklärte, er empfinde «Genugtuung» gegenüber all jenen, die Unruhe hätten stiften wollen. Bloss: die Causa Nsame, die teils schwachen Leistungen auf dem Rasen, Wickys Entlassung, zuletzt die Kündigung von CEO Wanja Greuel – nichts von alledem wurde von aussen in den Klub hineingetragen. Keine Zeitung forderte, Mohamed Ali Camara solle sich – wie ungeschickt – in der Halbzeit das Trikot von ManCity-Superstar Erling Haaland schnappen. Und niemand zwang Silvère Ganvoula, gegen Sporting Lissabon den Penalty zu schiessen, obwohl er dafür nicht vorgesehen war und sich danach vor versammelter Mannschaft für seinen Alleingang entschuldigen musste.
Sicherlich, Fussballer sind nur Menschen mit guten und schlechteren Tagen. Man kann nicht immer mit 5:1 gegen Basel gewinnen. Oder mit 6:1 gegen Luzern. Und doch ist die Erwartungshaltung an YB zu Recht hoch. Die Young Boys haben die eindeutig beste Ausgangslage, das mit Abstand höchste Budget, die klar talentierteste Equipe dieser Super League. Die Teilnahme an internationalen Wettbewerben wie Europa und Champions League haben in den letzten Jahren Millionen in die YB-Kassen gespült.

Der Blick in die Zukunft
Hätte jemand noch vor zehn Jahren vorausgesagt, dass YB drei Runden vor Schluss praktisch als Meister feststeht, ja, dass Gelb-Schwarz zum nationalen Titelhamsterer avanciert – alle hätten diesen Traum nur allzu gerne in die Wirklichkeit umgesetzt. Seither ist viel passiert, hat YB so manches gewonnen. Die Ansprüche sind massiv gestiegen. Damit müssen die YB-Verantwortlichen leben.
Anhänger wie Medien wiederum sollten sich bewusst werden, wo ihr Klub bis vor kurzem stand. Als man dem FCB vergeblich hinterherjagte, die ewige Nummer zwei war. Als ein Vorsprung wieder einmal «veryoungboyst» wurde. Ein wenig mehr Demut wäre manchmal angebracht. Oder wie es die Fans auf einem Banner treffend festhielten: «Nüt isch säubverständlech – aues historisch.»

Was darf man von YB nun erwarten? Für eine seriöse Prognose ist es noch zu früh, stehen noch zu viele interne Wechsel bevor. Kein Hellseher ist jedoch, wer erklärt, dass es an den Young Boys auch in der nächsten Saison kaum ein Vorbeikommen gibt. Lugano, Servette, Zürich oder vielleicht sogar Basel zum Trotz. Vergleiche, YB zeige Zerfallserscheinungen wie Basel vor acht Jahren, sind verfehlt. Vielmehr befindet sich dieser Verein in einem sportlichen Umbruch; nicht zum ersten Mal.

Doch im Fussball, gerade in der Schweiz, muss man sich zwingend ständig neu erfinden. Die Chancen stehen deshalb gut, dass YB auch in Zukunft die richtigen Antworten auf die anstehenden Herausforderungen findet. Und wenn das alles mit ein paar Störgeräuschen weniger passiert als jetzt geschehen, hat sicherlich kaum jemand etwas dagegen.

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