Bb Adolf Ogi 6

Als Ogi Chinas Präsident in den Stuhl drückte

Über Adolf Ogi gibt es ein neues Buch, das von seinen besten Anekdoten handelt. Dem Bärnerbär erzählt er eine seiner liebsten. Zudem erklärt der Alt-Bundesrat, was ihn negativ überraschte.

Adolf Ogi, Sie sind dieses Jahr 80 geworden. Man hat den Eindruck: Der Ogi altert nie.
(Lacht) Gesundheit ist ein Geschenk des Himmels. Ich habe zwar Rücken- und Knieprobleme, kämpfe aber mit verschiedenen Übungen täglich dagegen an, nicht operieren zu müssen. Ich war letzten Winter 35 Mal auf den Ski und möchte auch in der nächsten Saison wieder so häufig auf die Piste. Ich bin dem Herrgott dankbar, dass es mir so gutgeht.

In unserem letzten Interview im Herbst 2020 meinten Sie, die ganz grossen Touren würden Sie mittlerweile auslassen.
Richtig. Mein Vater erklärte mir einst den Unterschied zwischen Intelligenz und Weisheit. Die Intelligenz würde mir wohl dazu raten, die Blüemlisalp nochmals zu besteigen. Die Weisheit hingegen rät: Dölf, das hast du als 11-Jähriger gemacht, du hast sie sogar traversiert. Lass es gut sein. Obwohl sie mein Hausberg ist.

Waren all die Interviewanfragen zu Ihrem runden Geburtstag eine Ehre oder doch eher bemühend?
Entweder sagen Sie sämtlichen Medien zu – selbst jenen, die Sie nur selten wohlwollend begleitet haben – oder Sie sagen konsequent ab. Ich habe niemanden ausgeschlossen. In der Folge erhielt ich dafür über 1000 Briefe, mehr als 500 SMS und Mails, die ich alle beantwortet habe. Lauter positive Schriften, die zeigen, dass man mit mir als Mensch und als Bundesrat zufrieden ist.

Hassbotschaften wie andere Politiker erhalten Sie keine?
Ich hätte in den letzten Jahren nie eine bekommen. Was keine Aufforderung dazu sein soll, mir welche zu schicken (schmunzelt).

Wie haben Sie eigentlich gefeiert?
Im ganz kleinen Kreis in Selden im Gasterntal. Ich wollte dann später noch einmal in etwas grösserer Runde anstossen, im Rahmen der ersten Bergkristall-Gala der Stiftung Freude herrscht in Interlaken Anfang Dezember, die aber wegen zu wenigen Anmeldungen leider abgesagt werden musste. Das stimmt mich traurig und ich bitte um Verständnis für jene, die sich schon angekündigt hatten. Wir müssen uns nun überlegen, wie wir in Zukunft zu Geld kommen. Immerhin haben wir mit Freude herrscht seit 2011 rund 850 000 Schweizer Kinder bewegt: Spiel, Spass, Freude, Bewegung, Integration, Solidarität. Um jährlich 250 000 Franken zu generieren, braucht es einen ziemlichen Aufwand. Ein grosser Betrag aus Interlaken fehlt uns jetzt!

Adolf Ogi ist also voll im Saft. Auch in der Politik? Die «Weltwoche» nannte Sie kürzlich den Einflüsterer von Bundesratskandidat Albert Rösti, er selbst sei ein «Ogi-Klon».
Ich bin interessiert, lese sehr oft Zeitungen, verpasse kaum eine «Tagesschau» oder ein «10vor10», nehme allerdings keinen Einfluss mehr. Zu Albert Rösti: Er stammt wie ich aus Kandersteg. In meinem ersten Jahr als Bundespräsident 1993 habe ich – ich sage das jetzt einfach mal so – die Hauptstadt von Bern nach Kandersteg verlegt. Dort war es einfacher, Kompromisse auszuhandeln als in Bern. Drummer in der Dorfmusik war damals ein gewisser Albert Rösti. Er dachte sich wohl: Was der Ogi macht, könnte auch etwas für mich sein; ich war wahrscheinlich ein politisches Vorbild für ihn. Später war er Generalsekretär des Volkswirtschaftsdepartements des Kantons Bern. Wir blieben in Kontakt. Wenn er mich anruft, beantworte ich seine Fragen. Voilà.

Wäre Albert Rösti ein guter Bundesrat?
Ja, ganz klar. Er fand in der letzten Session parteiübergreifend Lösungen in Zusammenhang mit der Erhöhung der Grimsel-Staumauer. Wird er Bundesrat, wird die Uhr jedoch wieder auf Null gestellt. Er muss führen, entscheiden, kommunizieren und vor allem Lust am Politisieren haben. Er sollte sich immer bewusst sein, wo seine Wurzeln liegen, dass er ein Kind aus dem Kandertal mit tollem Elternhaus ist. Dann hat er alle Voraussetzungen, um in diesem Amt zu reüssieren.

Die «Weltwoche» schreibt seit Wochen gegen Rösti an. Roger Köppel spottete in seinem Editorial vor kurzem: «Rösti ist der Falsche.» Stört Sie das?
Das stört mich sehr. Ich verstehe die Taktik dahinter nicht. Diese Störmanöver dürften im Parlament meiner Meinung nach hingegen eine kontraproduktive Wirkung zugunsten von Rösti haben. Die «Weltwoche» ist nicht immer nur schlecht, aber Köppel hat eine fast schon zwanghafte Art entwickelt, gegen den Mainstream anzuschreiben. Wenn die ganze Welt die Rede von FIFA-Präsident Gianni Infantino kritisiert, lobt Köppel ihn in den Himmel. Wenn er Putin verteidigt, das habe ich ihm persönlich so geschrieben, wirkt er wie ein Prediger, der ihn vor dem Herrn in Schutz nimmt. Und nun ging er mehrmals auf Rösti los. Was steckt da dahinter?

Köppel wurmt wohl der mögliche «Sieg» der Berner über die Zürcher SVP, weil er Christoph Blocher nahesteht.
Er steht ihm nahe, das ist zweifellos so. Zur Verteidigung von Herrn Blocher will ich allerdings sagen: Er hat sich bis jetzt öffentlich weder für Rösti noch für Hans-Ueli Vogt ausgesprochen. Mir erklärte er unter vier Augen, er wolle sich nicht in die Wahlen einmischen.

Dürfen wir das so schreiben?
(Zögert kurz) Ja, schreiben Sie das (lacht)!

Spannend waren auf der anderen politischen Seite die Vorgänge rund um das Bundesratsticket der SP. Am Schluss liess die Partei mit Evi Allemann ihre progressivste Kandidatin fallen.
Erstens: Der Rücktritt von Simonetta Sommaruga erwischte die SP komplett auf dem falschen Fuss. Hier hat die SVP deutlich professioneller reagiert. Zweitens: Dass zwingend eine Frau Nachfolgerin von Frau Sommaruga werden muss und Männer nicht einmal in Erwägung gezogen wurden, löste bei vielen Unverständnis aus.

Selbst innerhalb der eigenen Partei.
Ganz genau. Darum trat Ständerat Daniel Jositsch auf den Plan. Frau Allemann kenne ich zu wenig. Ich persönlich bedaure es, dass sie nicht zum Zug kommt. Man hätte eine jüngere und eine ältere Frau nominieren können, oder gleich alle drei Bewerberinnen zusammen – das wäre ein attraktives Ticket gewesen. Doch ich will hier nicht kritisieren, das ist mir wichtig zu betonen. Ich stelle bloss Fragen.

Von Ihnen gibt es ein neues Buch: «Adolf Ogi – die besten Anekdoten».
Ich erschrak zunächst ein wenig, als ich davon erfuhr, denn es ist ohne mein Zutun entstanden. Als ich es dann in den Händen hielt, stellte ich fest: Es ist fair und korrekt. Und natürlich lustig zu lesen.

Wie lautet Ihre Lieblingsanekdote?
(Überlegt) Da gibt es viele. Vielleicht ein «aktuelles» Beispiel, da vergangene Woche Chinas Ex-Präsident Jiang Zemin verstarb. Er kam 1999 auf Staatsbesuch in die Schweiz. Wir sassen abends im Berner Rathaus, meine liebe Freundin Bundespräsidentin Ruth Dreifuss hielt eine Tischrede über die Menschenrechte. Zemin reagierte erbost, wollte aufstehen und gehen. «I’m leaving», schimpfte er. Ich packte ihn am Arm und drückte ihn sofort wieder in den Stuhl zurück. Sehr diplomatisch war das nicht – aber stellen Sie sich vor, wenn er gegangen wäre … was das weltweit für einen Skandal ausgelöst hätte. Als er sich wieder etwas beruhigt hatte, schenkte ich ihm einen Bergkristall, den ich immer bei mir trage. Für die Rede von Frau Dreifuss entschuldigte ich mich hingegen explizit nicht.

Zurück in die Gegenwart: Was bedeutet Ihnen die Adventszeit?
Weihnachten ist für mich die schönste Zeit des Jahres. Das rührt von meiner Jugend her: Kandersteg, Schnee, Chlouseabe, Weihnachten. Die Mutter, die den Tannenbaum schmückte. Singen, Spiritualität, Kirche, Gebete. Im Alter zwischen 5 und 13 Jahren nimmt ein Mensch durch die Liebe der Eltern Werte auf, die einem das ganze Leben hindurch begleiten: Menschlichkeit, Gerechtigkeit, Geradlinigkeit, Solidarität. Die Fürsorge meiner Eltern wirkte in der Weihnachtszeit am stärksten.

Mögen Sie den Sommer ebenfalls?
Natürlich. Ich meine: Wir waren limitiert in Kandersteg. Wir hatten anstatt eines Fussballplatzes eine Kletterstange. Im Winter gingen wir dafür als Buben fast jeden freien Nachmittag Skispringen – beim Bahnhof. Englische Touristen schauten uns aus ihrem geheizten Bahnwaggon dabei zu, wie wir über die Schanze gesprungen sind. Im Sommer gingen wir bergsteigen. Ich bin dankbar für alles, das ich erleben durfte. Obwohl man mir als Primarschüler das Amt eines Bundesrats zuerst nicht zutraute.

Mit diesem Vorurteil durften Sie sich mehr als einmal herumschlagen.
Das hat mich anfangs geärgert. Dazu vielleicht nochmals eine kleine Anekdote: Als ich Ende 2000 zurücktrat, hielt ich vor der Bundesversammlung die Abschiedsrede. Ich sagte: «Ich war damals, als Sie mich gewählt haben, nicht so schlecht wie mein Ruf. Und ich bin heute bei meinem Rücktritt aus dem Bundesrat auch nicht so gut wie mein Nachruf. Adieu mitenand.»

Was wünschen Sie sich?
Die meisten sagen, sie möchten gesund bleiben. Doch in meinem Alter ist ein solcher Wunsch tatsächlich angebracht, damit ich meine geplanten 35 Mal auf den Alpin- und Langlaufskis erreiche. Das Skaten ist zwar schwieriger geworden, das linke Bein hat kaum mehr die Kraft wie früher, deswegen bin ich vermehrt im klassischen Stil unterwegs (lacht). Ich wünschte mir zudem, dass wir unseren Vorfahren gegenüber demütig sind. Ihnen ist unser heutiger Wohlstand zu verdanken.

Was schenken Sie einander innerhalb der Familie?
Wir haben vereinbart, bescheiden zu sein und auf Geschenke zu verzichten. Wir unterstützen uns gegenseitig und helfen zum Beispiel unserer Tochter, die mit ihrem Ehegatten neu das Restaurant Casy in Crans-Montana besitzt. Füreinander da zu sein, ist das grösste Geschenk.

Yves Schott

Adolf Ogi, geboren am 18. Juli 1942 in Kandersteg, war Nationalrat sowie Präsident der SVP. 1987 wurde er in die Landesregierung gewählt, 2000 trat er zurück. Er ist bis heute einer der populärsten Bundesräte. Nach dem Krebstod seines Sohnes Mathias 2009 gründete Ogi die Stiftung Freude herrscht. Heute lebt er mit seiner Ehefrau in Fraubrunnen.

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