
Es ist ein Ort der Trauer, des Abschieds – aber auch ein Ort der Hoffnung. So schön die Blumen, so bitter der Schmerz, für den sie stehen. Ein Rundgang auf dem Bremgartenfriedhof.
Und am Schluss zeigt er uns sogar noch die Eidechsen. Sie geniessen die Wärme an diesem sommerlich sonnigen Freitagvormittag. Nein, wir sind nicht auf Rundgang im Tierpark Dählhölzli, auch wenn es vielleicht gerade so tönen mag. Thomas Hug führt uns auf einem ausführlichen Rundgang durch den Bremgartenfriedhof, der älteste von allen dreien auf Berner Stadtgebiet. 1865 wurde er eröffnet, 16 Hektaren ist er gross – das entspricht etwa 22 Fussballfeldern. Berühmte Persönlichkeiten wie Mani Matter oder Klaus Schädelin haben hier ihre letzte Ruhe gefunden. Hug leitet den Betrieb hier seit exakt zwanzig Jahren, bezeichnet sich selbst mit einem Augenzwinkern als «Friedhofsfossil». Die Anlage liegt ihm, natürlich, am Herzen. «Es ist auf eine gewisse Art und Weise ein eigener Garten. Ich bin zwischen 40 und 45 Stunden pro Woche hier, das ist fast mehr Zeit, als ich zuhause verbringe.» Dadurch, sagt er, erlebe er mit eigenen Augen mit, was mit den Pflanzen, Sträuchern und Bäumen passiert. «Man sieht, wie alles wächst und sich entwickelt.» Der Bremgartenfriedhof, ein Naturparadies. Tatsächlich wirkt alles sehr gehegt und ästhetisch, überall sind Rasensprinkler im Einsatz, werden Hecken geschnitten, Grabblumen gesetzt. Der grosse Aufwand, er wäre ohne Hugs Mitarbeitenden indes nicht zu bewältigen: «Hier arbeiten unter anderen ein Matrose, ein Bäcker und ein Schreiner», erklärt uns der 56-Jährige. Auch so geht Multikulti. Rund 3500 Gräber müssen betreut werden, bis zu 400 Bestattungen pro Jahr organisiert sein. Hug und sein Team kümmern sich um alles. Eine anspruchsvolle, herausfordernde und heikle Arbeit. «Nach einem Todesfall sind die Menschen sensibel. Was wir hier machen, sollte funktionieren – und das tut es zum Glück. Die Abläufe sind sehr gut koordiniert.» Nach einem Todesfall übernehmen Hug und sein Team den Sarg oder die Urne und sind somit ebenfalls für deren Beisetzung zuständig.
All diese Gefühle, hautnah
Schwierige Situationen gibt es im Arbeitsleben des Thomas Hug zuhauf, damit hat er irgendwie umzugehen gelernt. Obwohl: An den Tod gewöhnt man sich eigentlich nie. Frischvermählte, die gerade ihren Lebenspartner verloren haben und. ältere Frauen, die sich nach Jahrzehnten der Zweisamkeit von ihrem geliebten Ehemann verabschieden müssen. «Von still und in sich gekehrt bis in Tränen aufgelöst: Ich erlebe all diese Gefühle hautnah mit. Die Trauerfeier und den Akt der Bestattung, der die endgültige Verabschiedung bedeutet.» Der Tod begleitet Hug tagtäglich auf Schritt und Tritt. Er ist sein ständiger Begleiter, der nie loslassen will. Im Büro, manchmal zuhause, wenn er das Geschehene und Erlebte verarbeitet. Auf dem Friedhof sowieso. Einfacher macht das die Sache kaum. «Da ist man Mensch, der unterscheidet sich nicht von jenem im Beruf.» Er könne sich aber vielleicht besser als andere in Angehörige, die um ein Familienmitglied trauern, hineinversetzen. «Man weiss, wie es sich anfühlt und dass Emotionen einfach dazugehören.» Besonders nahe gehen Hug Kinderbestattungen. «Für mich wäre es das Schlimmste, wenn eines meiner Kinder vor mir stirbt, egal, wie alt es ist. Das sind jene Momente, in denen «Wir werden geboren, um zu sterben. Früher oder später» ich mich frage, welcher Sinn dahintersteckt, wieso so etwas passiert», erklärt der Familienvater, der selber eine Tochter und einen Sohn hat, nachdenklich.
Anmeldung für den Tod
«Unser Glück ist es, dass wir in Bern nicht in einem Dorf leben, wir geniessen hier den Schutz einer gewissen Anonymität.» Hug findet es auf eine gewisse Art und Weise erleichternd, dass meist kein direkter Bezug zu den Angehörigen vorhanden ist. «Man muss ganz klar betonen: Es ist immer etwas anderes, wenn es einen selber betrifft, auch wenn der Tod niemanden verschont. Wir werden geboren, um zu sterben. Früher oder später.» Und dann gibt es noch jene, die auf den Bremgartenfriedhof kommen, um selber den letzten Gang anzutreten. Murtenstrasse 51, Anmeldeschalter für die lebenden Toten. «Diese Personen haben sich bereits mit dem Thema befasst und erklären dann, dass sie dieses oder jenes Grab möchten und dass sie die Grabesrede schon vorbereitet haben.» Meist sind es ältere Menschen, die sich aufs Sterben vorbereiten oder, besonders tragisch, Jüngere, die aufgrund einer schweren Krankheit wissen, dass sie nicht mehr lange zu leben haben. Die besondere Nähe zum Allmächtigen hat Hug trotz allem nie gesucht. Seelenheil mit Heiland, aber in Massen. «Ich glaube an Gott, ohne aber ein regelmässiger Kirchengänger zu sein. Der Pfarrer sieht mich jedenfalls nicht so häufig», lacht der Mann mit der sympathischen Erscheinung und angenehmen Stimme. Mittlerweile ist es auf dem Gelände ziemlich warm geworden, wir sind beim neuen buddhistischen Grab eingetroffen. «Ich glaube an alle Religionen: Es gab stets und überall einen Glauben, schon damals, als die spanischen Eroberer auf die Inkas trafen. Also muss da wohl etwas dran sein.» Das buddhistische Grab wurde erst vor wenigen Wochen eröffnet, auch Hindus, Muslime und sogar Juden hätten theoretisch die Möglichkeit, sich auf dem Bremgartenfriedhof bestatten zu lassen. Allerdings hat die jüdische Gemeinschaft einen eigenen Friedhof beim Wankdorf.
Kremation: Früher ein Tabu
Wer durch das riesige Areal läuft, entdeckt eine Vielzahl von verschiedenen Grabarten: Das traditionelle Sarg- und Urnenreihengrab sowie das Gemeinschaftsgrab stellen die klassischen Bestattungsarten dar. Hinzu kommen, etwas neuer, das Urnenhaingrab, das eingebettet ist in ein locker belegtes Grabfeld, auf dem auch Bäume stehen können. Und die Urnenthemengräber, die nach einem bestimmten Sujet wie etwa Rosen gestaltet sind. Ein Einzelgrab bleibt in der Regel mindestens zwanzig Jahre lang bestehen, Familiengräber überdauern das Doppelte der Zeit. Ein Blick auf die Statistik zeigt: 2016 wurden in Bern 928 wohnhaft gewesene Personen kremiert und beigesetzt sowie 137 im Sarg beerdigt (s. auch Statistik rechts/unten). Der Trend zur Einäscherung ist an sich gar keiner: Seit Mitte der 40er-Jahre ist die Feuerbestattung in der Stadt deutlich häufiger vorgenommen worden als die Beerdigung. In früheren Jahren war die Kremation bei Menschen katholischen Glaubens noch mehrheitlich tabu, da sie mit dem Fegefeuer in Verbindung gebracht wurde.
Tschäppäts und Polos Asche
Viele Menschen nehmen die Urne nach dem Tod der betreffenden Person nach Hause, einige entlassen die Asche in die Natur. Polo Hofer wollte seine sterblichen Überreste vom Gipfel des Niesen verstreuen lassen, Alexander Tschäppät am Murtensee. «Zu wissen, dass die Menschen sich hier wohlfühlen, sich bedanken für die schöne Anlage. Die Komplimente für die würdevollen Bestattungen und natürlich die schöne gepflegten Gräber», das sei das Schönste an seinem Job, erzählt uns Thomas Hug zum Schluss des Rundgangs. Es ist jetzt später Vormittag, die Sonne steht schon fast am Zenit. Vögel zwitschern, die Schafe, von denen es auf dem Bremgartenfriedhof ebenfalls einige gibt, weiden gemütlich vor sich hin. Das blühende Leben, mitten im Tod.
Yves Schott