Der ehemalige Berner Kantonspolizist Hans Wüthrich instruiert seit zehn Jahren beim TCS das korrekte Fahren mit dem E-Bike. Über rüpelhaftes Verhalten von Velofahrenden wundert und ärgert er sich.
Vor 13 Jahren kam der heute 62-jährige Hans Wüthrich auf den Geschmack und erstand sich ein E-Bike, «ein schnelles mit 45 km/h», wie er lachend hinzufügt. Er benützt es lediglich in der Freizeit, um ohne schweisstreibende Muskelkraft mit elektrischer Unterstützung die «Emmentaler Höger» zu erklimmen. Es sind kleinere Touren, die er gerade mit einer Akkuladung bewältigen kann. So hat er bis zum heutigen Tag lediglich insgesamt rund 6000 Kilometer zurückgelegt, wie er bescheiden erwähnt; immerhin …
Er arbeitete noch bei der Kantonspolizei Bern, als der Touring Club Schweiz mit der Anfrage an das Polizeikommando gelangte, Verkehrsinstruktoren als E-Bike-Ausbildner beim TCS einzusetzen. «Als Verkehrsinstruktoren brachten wir bereits viele Grundvoraussetzungen mit», erzählt Hans Wüthrich. So entschied er sich 2013 mitzumachen, «alles in der Freizeit», wie er betont. Er dachte schon damals an seine Pensionierung 2021, denn es war ihm wichtig, danach etwas Sinnstiftendes zu machen. Beim Flyer-Hersteller in Huttwil absolvierte er einen Grundkurs für E-Bike-Instruktoren. «Die Arbeit mit den Kursteilnehmenden macht mir nach wie vor grossen Spass, denn sie kommen aus freien Stücken und sind sehr motiviert», erzählt Wüthrich.
Mehrheitlich Seniorinnen
Die E-Bike-Kurse eignen sich für jüngere Menschen genauso wie für erfahrene E-Biker:innen. «Die meisten Leute glauben, wenn sie einmal auf einem ‹normalen› Velo gefahren sind, sei das Umsteigen auf ein E-Bike ein Kinderspiel und ein Kursbesuch erübrige sich», so der Instruktor. «Dabei vergessen sie die Geschwindigkeit, die beim E-Bike dazukommt», ermahnt Hans Wüthrich. So wird im halbtägigen Kurs das Handling vermittelt, das Fahren mit und ohne Strom, die verschiedenen Unterstützungsmodi je nach Gelände und Kondition, das Anfahren am Berg, steile Abfahrten, das Verhalten in der Gruppe usw. «Nach dem Theorieteil fahren wir erst mal in einem Parcours rund um das Gebäude des Technischen Zentrums Ittigen mit Geschicklichkeitsübungen, üben das Slalom- und einhändige Fahren. Dann verschieben wir uns auf dem Radweg ins Quartier mit Kreiselfahren, Rechtsvortritt, Einspuren», schildert E-Bike-Instruktor Wüthrich. Am Kurs wird mit E-Bikes zu 25 km/h und zu 45 km/h gefahren. Sein eigenes, schnelles E-Bike leiht er jeweils geschickten Teilnehmenden kurz aus, «damit sie das Feeling von 45 km/h erleben können. Die machen manchmal grosse Augen, wenn sie selber auf dem Bike sitzen und dann bremsen müssen».
Es seien hauptsächlich Frauen ab etwa 65 Jahren, die seine Kurse belegten, wie Hans Wüthrich berichtet. «Die bisher älteste Teilnehmerin war 78-jährig», erinnert er sich. Die meisten seien früher mal mit einem «normalen» Drahtesel unterwegs gewesen, hätten nun das Autofahren aufgegeben und wenig oder keine Erfahrung mit E-Bikes, analysiert Wüthrich die Beweggründe zum Kursbesuch. In zwei Fällen musste der Instruktor nach dem Kurs davon abraten, mit dem E-Bike zu fahren. «Wenn jemand den Kopf nicht mehr wenden oder den Arm zum Anzeigen der Richtungsänderung nicht ausstrecken kann, ist es einfach zu gefährlich», sagt der vorsichtige und erfahrene Ausbildner.
Anarchie auf der Strasse
Hans Wüthrich ortet – mit Ausnahme der Geschwindigkeit – keinen Unterschied im Verhalten zwischen Bikern mit «normalem» Velo und solchen mit E-Bikes. Sein Urteil aufgrund seiner Erfahrung und seiner Beobachtungen ist klar und unmissverständlich: «95 Prozent der Biker fahren auch Auto. Sobald sie aber einen Velolenker in der Hand halten, vergessen sie sämtliche Verkehrsregeln. Es wird kreuz und quer überholt, aufs Trottoir ausgewichen, Richtungsänderungen werden nicht angezeigt.» Ein schnelles 45 km/h-E-Bike habe beispielsweise auf dem Trottoir nichts verloren, selbst wenn die gelbe Markierung «Radfahren erlaubt» angebracht sei. Bei den E-Bikes kämen verschärfend noch die deutlich höheren Geschwindigkeiten hinzu, die das Unfallpotenzial noch erhöhten, resümiert Hans Wüthrich. Deshalb instruiert er an seinen Kursen wieder elementare Verkehrsregeln, die selbstverständlich auch für alle Velofahrenden gelten. «Der E-Bike-Fahrer, der das Handling an seinem Gefährt nicht beherrscht, ist am gefährlichsten. Die richtige Bedienung muss ohne zu überlegen erfolgen. Das Ziel ist, einen Automatismus, wie wir ihn beim Autofahren kennen, zu erreichen», betont Wüthrich mit Nachdruck.
Welche persönlichen Exkursionen beabsichtigt Hans Wüthrich mit seinem E-Bike zu unternehmen? Seine Antwort kommt ohne zu zögern: «In diesem Herbst möchte ich mit meiner Frau und einem befreundeten Ehepaar von Berlin nach Kopenhagen radeln. Wir planen etwa zehn Tagesetappen zu höchstens 70 Kilometer – ganz gemütlich und mit viel Genuss!», freut er sich. Die Strecke ist Hans Wüthrich nicht ganz unbekannt. Er hat sie vor zehn Jahren schon bewältigt, damals noch mit einem «normalen» Velo, zu hundert Prozent mit eigener Muskelkraft.
Peter Widmer
Hans Wüthrich wurde 1961 geboren und wuchs in Rohrbachgraben auf. Den erlernten Beruf als Bäcker-Konditor musste er aus gesundheitlichen Gründen aufgeben. Danach absolvierte er die Polizeischule und arbeitete während 32 Jahren bei der Kantonspolizei Bern, davon 22 Jahre als Verkehrsinstruktor. Seit 2013 ist er E-Bike-Instruktor beim Touring Club Schweiz TCS im Technischen Zentrum Ittigen. Hans Wüthrich ist verheiratet, hat drei erwachsene Kinder und lebt in Sumiswald.