Das IVI in Mittelhäusern. Sagt Ihnen nichts? In Kürze schon. Es würde kaum erstaunen, wenn die Lösung der Coronakrise hier ihren Anfang nähme.
Zwei eher unscheinbare Gebäude in Mittelhäusern, Gemeinde Köniz. Aus der Ferne betrachtet ähneln sie am ehesten einem modernen Landwirtschaftsbetrieb. Die Zufahrt erfolgt via ein Nebensträsschen; Ziegen grasen gleich nebenan, die Vögel zwitschern, ein Hauch von Gülle liegt in der Luft. Hier befndet sich das Institut für Virologie und Immunologie des Bundes (IVI). Eines der führenden Labors der Schweiz und das einzige, an dem derzeit am grassierenden Coronavirus geforscht wird. Wir werden vom Chef persönlich empfangen. Christian Griot ist ein grossgewachsener, schlanker Mann mit kräftigem Händedruck. Ins eigentliche Labor dürfen wir nicht. Dazu wäre eine mehrtägige Vorbereitung notwendig. Und die Bereitschaft, einen kleinen Verlust in Kauf zu nehmen. Die Redaktion der SRF-Gesundheitssendung «Puls» hat den Raum für einen Beitrag betreten können – musste aber zwei Kameras, ein Mikrofon und ein GoPro-Gerät zurücklassen, da diese sich nach der Benutzung im Innern nicht mehr dekontaminieren liessen. Für das IVI kein Nachteil: Es kann solche technischen Utensilien gut gebrauchen. Wieso der Erreger, der seit Wochen die Schlagzeilen beherrscht, gerade an diesem Ort gelandet ist, möchten wir wissen. Und erfahren, dass es sich, wenn nicht um Zufall, dann immerhin um eine, in diesem Zusammenhang darf man das wohl so sagen, glückliche Fügung des Schicksals handelt. «Das haben wir Volker Thiel zu verdanken», sagt Griot uns in seinem Büro.
Doppelt und dreifach gesichert
Virologe Volker Thiel, hauptsächlich an der Uni Bern tätig (s. Bärnerbär-Ausgabe vom 11. Februar), gehört zu den Mitentdeckern des SARSVirus (es tauchte 2002/2003 auf) und ist der einzige Coronavirus-Forscher des Landes. Ein Pionier auf seinem Gebiet. Denn: Grippeviren, wie Cov19 eines ist, gelten im Gegensatz zum viel spektakuläreren Ebola beispielsweise als eher unattraktiv. Mit der Hilfe Thiels also verschickte die Charité in Berlin, eine der grössten Uni-Kliniken Europas, das Päckli via Luftpost nach Zürich und von da ins beschauliche Mittelhäusern. Am 6. Februar traf es ein, doppelt und dreifach gesichert, so dass es selbst einen schweren Autounfall überstanden hätte. Sämtliche Medien berichteten danach über den weissen Opel-Lieferwagen mit orangem Nummernschild. Geliefert hat das gefährliche Gut ein Spezialkurier. «Es ist also nicht dieselbe Firma, die auch die Zalando-Pakete transportiert», meint Griot mit einem Augenzwinkern. Sein Tag beginnt gegenwärtig um 5.30 Uhr in der Früh. Abends um 22 Uhr, bevor es ins Bett geht, checkt er die letzten Mails. Dazwischen gibt es eine längere Pause. Aber: «Ich gehe nicht zum Ofce raus und dann ist einfach fertig.» Länger seien seine Arbeitstage zwar kaum geworden, erklärt der Institutsleiter, die Prioritäten hätten sich allerdings deutlich verschoben. «Ich beschäftige mich momentan fast nur noch mit Corona.» Einrichtungen wie das IVI mit BSL-4, der höchsten Sicherheitsstufe (BSL steht für Biosafety Level), existieren in der Schweiz gesamthaft nur zwei: das in Mittelhäusern sowie jenes in Spiez. «Dort wird hingegen vor allem mit humanpathogenen Keimen wie Ebola oder Pocken geforscht», erklärt Christian Griot. «In Spiez steht der Personenschutz im Vordergrund. Hier ist das ein wenig anders, da viele Keime wie etwa die Maul- und Klauenseuche für den Menschen nicht gefährlich sind.»
Hoffnung auf den Impfstoff
In Mittelhäusern arbeiten 75 Personen, am Standort Bern etwa 40. Zum hochsensitiven BSL-4-Abteil, wo die Viren lagern, haben rund zehn Menschen Zutritt. Speziell gesichert sind die Gebäude deswegen nicht, sie werden aber überwacht. «Ausserdem», ergänzt Christian Griot, «verfügen wir über einen Pikettdienst.» Was passiert nun mit den Cov-19- Proben im Labor? Volker Thiel und sein Team haben es als erste Wissenschaftler ihres Fachs weltweit geschafft, synthetische Kopien des Virus herzustellen. Indem einzelne Gene ausgeschaltet werden, können die Spezialisten Schwachstellen des Klons eruieren und auf Basis dieser Erkenntnisse, so die Hoffnung, schliesslich einen Impfstoff entwickeln. Griot ergänzt: «Wir würden das Medikament nicht selber herstellen, sondern die dazu nötigen Informationen an die entsprechenden Firmen weiterleiten.» Vielleicht resultiert aus den Untersuchungen zunächst auch «nur» ein antivirales Mittel mit einer ähnlichen Wirkung wie Tamiflu oder Herpessalben. «Damit liesse sich die Vermehrung des Virus reduzieren und der Patient würde bedeutend weniger klinische Symptome spüren.» Laut Griot verfolgt man beide Richtungen. Er schiebt nach: «Ja, wir können Teil der Lösung sein.» Nach rund eineinhalb Stunden verlassen wir das IVI wieder. Aller negativen Berichte zum Trotz mit einem positiven Gefühl. Hier sind Wissenschaftler von Weltruhm am Werk. Wann tatsächlich ein Impfstoff zur Verfügung stehen wird, kann niemand prognostizieren. Das wäre unseriös. Doch die Forscher erzielen täglich Fortschritte. Es würde deswegen kaum erstaunen, fände man die Lösung zur Corona-Krise in Mittelhäusern bei Köniz. Vor den Toren Berns. Ganze 8200 Kilometer von der chinesischen Millionenstadt Wuhan entfernt. Dort, wo die Seuche ihren Anfang genommen hat.
Yves Schott