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26. Swiss Economic Forum (SEF) 2024 in Interlaken

«Das Leben hört nicht an der Seitenlinie auf»

Zu Gast auf der grossen Bühne des Swiss Economic Froums: Profifussballerin Lia Wälti. Foto: SEF

Wie soll man reagieren, wenn sich das Leben gerade von seiner garstigen Seite zeigt? «When the going gets tough» lautete dementsprechend das diesjährige Motto des SEF in Interlaken. Schweizer Firmenchefs, internationale Politiker und Spitzensportler gaben spannende Antworten. Auch die Profifussballerin Lia Wälti sprach offen über schwierige Zeiten und wie man gestärkt wieder herausfindet.

Mit dem diesjährigen Motto setzte das SEF den Fokus insbesondere auf Jungunternehmen und bot ihnen am Freitag die grosse Bühne. Denn wenn sich in Interlaken die Schweizer Wirtschaftselite trifft, ist das immer auch eine Chance für Startups, sich den anwesenden Firmenchefs zu präsentieren und sich zu vernetzen. Auch den Frauenfussball kann man – zumindest in der Schweiz – fast noch ein bisschen als Startup bezeichnen.

Die Bernerin Lia Wälti, eine der zurzeit besten Fussballprofis weltweit, spielt seit 11 Jahren im Ausland, ist momentan bei Arsenal unter Vertrag und Captain der Schweizer Nati. Eine Bilderbuch-Karriere – und doch hat sich auch ihr Leben nicht immer an ihre Wünsche und Pläne gehalten. Im Mai 2023, nur zwei Monate vor der WM, wurde sie so übel gefault, dass sie längere Zeit pausieren musste und auch jetzt erholt sie sich gerade von einer schweren Knieverletzung.

Wie geht man mit solchen Ereignissen um?
Es bricht natürlich schon jedes Mal eine Welt zusammen. Insbesondere wenn man nicht mehr gehen kann. Ich konnte nicht mal mehr aufstehen und mir einen Teller holen. Das macht einem als Sportlerin echt Angst. Da ist ein stabiles, unterstützendes Umfeld wichtig. Und die positive Grundeinstellung zum Leben, so dass man auch in solchen Situationen die Chancen erkennen kann.

Das klingt immer so einfach, aber gerade wenn man gefoult wird, ist man da nicht extrem wütend auf die Gegenspielerin, die einem die Pläne zerstört?
Fussball ist nun mal ein Kontaktsport, diese Verletzungen passieren leider und sind Teil unseres Spiels. Was nützt es, jemanden wegen eines Fouls zu hassen? Das bringt niemandem etwas.

Sie sprechen das Foul von Aggie Beever-Jones im Mai letzten Jahres an – auf Social-Media gab es nach dem Spiel viele Hasskommentare gegen die junge Spielerin. Sie haben Aggie in Schutz genommen.
Ja, denn ich fand es total unfair. Sie ist erst 19. Klar, sie hat einen Fehler gemacht, das Foul war bei einem Spielstand von 4:0 völlig unnötig. Aber sie hat die Rote Karte bekommen und sich nach der Aktion auch nicht gut gefühlt. Warum also musste man ihr Hasskommentare schicken? Respekt ist für mich generell und insbesondere im Sport, äusserst wichtig. Man sollte verantwortungsvoll miteinander umgehen.

Verantwortung übernehmen ist ein weiteres gutes Stichwort: Schon als 19-Jährige wurden Sie Captain bei YB, heute sind Sie Captain bei der Schweizer Nati und auch bei Arsenal sind Sie Spielführerin.
Ich bin effektiv sehr gerne Vorbild und wenn es etwas zu machen gibt, mache ich es! Ich übernehme gerne Verantwortung und liebe es, Teil eines gut funktionierenden Teams zu sein, in welchem man sich aufeinander verlassen kann.

Dennoch nahmen Sie sich letztes Jahr Anfang April eine Auszeit, während des Zusammenzugs der Nati …
Ich hatte zuvor wirklich lange gekämpft. Es waren so viele Spielerinnen bei Arsenal verletzt und es war Champions League – ich konnte doch das Team nicht im Stich lassen! So habe ich mich zu den Spielen geschleppt, versuchte mein Bestes, bis es einfach nicht mehr ging und mir alles zu viel wurde. Schliesslich habe ich mich den Verantwortlichen anvertraut und viel Unterstützung erfahren. Ich nahm mir eine Auszeit von sieben Tagen und verbrachte diese mit meiner Schwester in Marokko. Das half mir sehr. Und ich realisierte, dass man sich selbst manchmal an die erste Stelle setzen muss, auch wenn das schwerfällt und der Zeitpunkt völlig unpassend ist. Aber das ist er in solchen Fällen ja immer.
War das auch der Grund, warum Sie Ihre Auszeit öffentlich gemacht haben?
Ja genau. Ich finde es wichtig, dass man darüber zu sprechen wagt, sich Hilfe und Unterstützung holt. Ausserdem wollte ich gegenüber den Fans ehrlich und transparent sein.

Wenn wir grade bei den Fans sind. Noch immer gibt es sehr viele Vorurteile gegenüber dem Frauenfussball …
Über Fussball wird sehr viel gesprochen und alle wissen, wie man das Spiel spielen sollte. Männer und Frauen spielen aber unterschiedlich – immer wieder höre ich, Frauenfussball sei viel weniger temporeich. Das mag sein. Aber wir haben dafür viel an Technik und Taktik zu bieten, und verbringen auch nicht so viel Zeit am Boden (schmunzelt)! Wir brauchen insbesondere die Unterstützung der Fussball-Verantwortlichen und der Verbände. So wie das in England der Fall ist.

Was macht denn England besser?
Dort spielen wir in grossen Stadien. In England ist das Interesse seit dem Titelgewinn an der Heim-EM im Sommer 2022 «explodiert». Für Länderspiele ist das legendäre Wembley-Stadion mit 90 000 Plätzen innert Stunden ausverkauft, und auch in der Women’s Super League spielen die Frauen nun mehrmals pro Jahr in den grossen Stadien vor 40 000 bis teilweise gar 60 000 Leuten. Die englischen Spielerinnen werden inzwischen erkannt, wenn sie durch London spazieren.

Warum ist es so wichtig, in grossen Stadien zu spielen?
Diese sind viel besser eingerichtet und das Erlebnis für die Zuschauenden ist ein ganz anderes. Aufgrund der tiefen Ticketpreise bei unseren Spielen können sich auch Menschen und Familien Tickets leisten, die sonst kaum die Chance bekommen, im Emirates ein Spiel zu schauen. Unsere Spiele sind zugänglicher und sie eröffnen einer anderen gesellschaftlichen Klasse die Möglichkeit, Live-Fussball zu geniessen. Ausserdem sind das Licht und die Kamerapositionen besser, was auch für die TV-Übertragungen und somit die Einschaltquoten entscheidend ist.

Das Motto des SEFs «When the going gets tough» passt ja gut zum Frauenfussball: Vorurteile, viel weniger Lohn und weniger Beachtung als bei den Männern – was hielt Sie in diesem Sport?
Ich wuchs im Emmental in einer polysportiven Familie auf, wir haben alles Mögliche an Sport gemacht. In der Schule hatten viele Kinder immer einen Ball dabei und so spielte ich in der Pause Fussball – diesen habe ich übrigens schon immer mit den Füssen und nie mit den Händen aufgenommen! So entdeckte ich die Liebe zu diesem Sport. Mit etwa 15, 16 hatte ich dann aber gegen die Männer kräftemässig kaum mehr eine Chance. Aber Aufgeben war noch nie eine Option für mich. Wenn man überzeugt ist, Spass hat und mit Herzblut bei der Sache ist, macht man weiter. Ich denke, Konstanz und Disziplin sind entscheidend, wenn man seine Ziele erreichen will.

Sie sind inzwischen 31 Jahre alt – keine Angst vor der Konkurrenz?
Konkurrenz ist gut und wichtig. Sie macht einem besser, sorgt dafür, dass man sich aus der Komfortzone bewegt und immer top performt. Ich hoffe schon, noch ein paar Jahre zu den Besten zu zählen und mit Erfolgen Geschichte schreiben zu können. Wenn es irgendwann nicht mehr so ist, ist es dann aber auch gut.

Wie geht’s denn nach der Profikarriere weiter?
Mein Leben hat noch nie an der Seitenlinie aufgehört. Dafür bin ich zu neugierig und zu vielseitig interessiert. Deshalb mache ich noch ein Fern-Studium, habe die Trainerlizenz erworben und lerne Spanisch. Wohin genau mich der Weg führt, weiss ich momentan noch nicht. Was ich aber unbedingt machen möchte, ist ein Kinderbuch auf die EM 2025 hin herauszugeben. Es ist so wichtig, dass wir auch in Zukunft viele Kinder dafür begeistern können. Denn Fussball ist ein unglaublich faszinierender Team-Sport und lehrt einen viel fürs Leben!

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PERSÖNLICH

Lia Joelle Wälti, 19. April 1993, wuchs in Langnau im Emmental auf. Sie begann ihre Fussballkarriere im Alter von acht Jahren beim FC Langnau. Im 2009 wechselte sie zu den Young Boys Bern, zunächst in die männliche U-16-Mannschaft, ein Jahr später in die erste Frauenmannschaft. Im 2011 gewann sie mit YB die Schweizer Meisterschaft und stieg zur Mannschaftskapitänin auf. Im Sommer 2013 wechselte Wälti zum Bundesligisten 1. FFC Turbine Potsdam, bei dem sie einen Zweijahresvertrag erhielt. In der Bundesliga debütierte sie am 8. September 2013. Am 1. Juli 2018 wechselte sie zum Arsenal Women FC, wo sie in zwölf Spielen mit dazu beitrug, dass Arsenal die Saison als Meister abschliessen konnte. Seit 2011 spielt sie zudem für die Schweiz.

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