Anna Blöchlinger hat zu zahlreichen Theaterstücken die Choreografie beigesteuert. Im Gespräch erzählt die Tanz- und Theaterschaffende, warum sie gerne auf verschiedenen Bühnen tanzt.
«Anna, wir sind nicht in der Karibik.» So habe sie in der Ballettstunde jeweils die Lehrerin ermahnt, wenn sie abdriftete, zu viel improvisierte, dem klassischen Ballett ihren eigenen Stempel aufdrückte. Anna Blöchlinger braucht ihre eigene Bühne. Zum Treffen mit dem Bärnerbär schlägt sie den Jugendstil-Pavillon auf der kleinen Schanze vor und verrät auch gleich, was sie an diesem Ort fasziniert. «Es ist ein Raum im Aussenraum, von dem man Übersicht hat.» Sie komme oft hierher und finde Ruhe im Getümmel. «Du hast das Pulsieren der Stadt im Rücken und den Blick aufs Bundeshaus, auf alles Geordnete, Gesetzte und Sichere. Doch der Ort habe auch eine dunkle Seite. «Hier ist auch der Drogenstrich. Es gibt Leute, die sich verstecken müssen.» Am Pavillon selbst liebe sie die Schnörkel, die grüne Farbe und dass sich hier auch Leute zum Tango tanzen träfen. «Hier kann man fliegen.» Sie demonstriert auch gleich wie, klettert auf das Geländer, breitet die Arme aus, dreht sich um die eigene Achse.
Blöchlinger ist in Rüeggisberg auf einem nachhaltigen Landwirtschaftsbetrieb als Mittlere von drei Schwestern aufgewachsen. «Meine Eltern waren damals Aussteiger und Bio-Pioniere.» Sie pflanzten Buchweizen an und praktizierten Mutterkuh-Haltung. Der Hof der Eltern war auch eine soziale Institution, sie nahmen viele Leute auf, pflegten einen integrativen Ansatz. «Ich spielte im Wald und habe dabei die Welt erobert», so Blöchlinger. Mit ihren Schwestern und den Nachbarskindern überquerte sie Bäche, erklomm fiktive Gletscher und wurde zur Seefahrerin. Heute ist die Mutter von zwei Kindern im Teenageralter ein Stadtkind.
Kuba und New York
«In meiner Jugend betrieb ich Volleyball als Leistungssport und spielte Schlagzeug», so Blöchlinger. «Ich kann nicht nur eine Sache machen.» Zum Tanz kam sie relativ spät. «Ich habe im Alter von 18 Jahren damit angefangen.» Sie reiste nach Brasilien und entdeckte die lateinamerikanischen Tänze, während sie in einem Kinderheim arbeitete. «Es hat mir den Ärmel reingezogen.» Blöchlinger tanzte intensiv Salsa. Kuba und New York waren weitere Orte, die sie inspirierten und tänzerisch prägten. In Kuba entdeckte sie den Stil «Afro Cuban», wobei oft zu Live-Trommel-Musik getanzt wird. Der Tanz werde dazu genutzt, um Geschichten zu erzählen, aufeinander zu reagieren. «Das liegt mir».
Was Menschen bewegt
Blöchlinger ist vom Tanztheater, das mit Choreografinnen wie Pina Bausch (1940 – 2009) oder Sasha Waltz in den Neunzigerjahren zunehmend an Bedeutung gewann, beeinflusst. Mit dem berühmten Zitat von Bausch -«Mich interessiert nicht, wie die Menschen sich bewegen, sondern was sie bewegt», kann sie sich identifizieren. «Ich mag Tanz, der das Innere zum Ausdruck bringt.» Mit ihrem einstigen Partner gründete sie die Schule «Salsadancers», die sie während zwanzig Jahren führte. An der Zürcher Hochschule der Künste hängte Blöchlinger an ihre bisherigen Ausbildungen ein Studium der Theaterpädagogik an. Heute arbeitet sie in beiden Bereichen, bringt Tanz und Schauspiel zusammen. So war sie zuletzt etwa im Stück «Ojo d’Oro» des Theaterkollektivs «VORORT» für die Choreografie zuständig und spielte selbst eine Rolle. Die grosse Halle in der Reitschule liess ihr viel Spielraum. Die Darsteller:innen, die sich im Stück mit ihren Ahnen auseinandersetzten, betrieben Akrobatik, fuhren Rollschuh oder kletterten auf Gerüste. «Ich sehe mir die jeweilige Raumstruktur an und überlege, wie man sich darin bewegen kann.» Es gehe ihr darum den Raum mit bewegten Bildern zu füllen und um die Akustik, die im Raum durch Bewegung entstehe. Improvisation spiele dabei immer eine wichtige Rolle. Das nächste Stück für das Blöchlinger die Choreografie entwickelt, heisst «Koste es was es wolle» und spielt in einem Supermarkt. Das 2021 gemeinsam mit der Schauspielerin Sonja Riesen (Dr Goalie bi ig) gegründete Frauen Ensemble Riesen/Blöchlinger trat zuvor mit dem Stück «Kunstmutter» im Tojo Theater in Erscheinung. Verhandelt wurde das Kunstmachen als Mutter und das Muttersein als Künstlerin.
Im kommenden Stück stehen erneut Frauengeschichten im Fokus. Erzählt wird von prekären Leben in einer konsumorientierten Welt. «Die Choreografie wird unter anderem von alltäglichen Bewegungen inspiriert sein», verrät Blöchlinger. Ganz nach ihrem Geschmack kommen im Stück nach 16 Jahren Schauspiel, Tanz und Musik zusammen.