Das Berner Nachtleben hat schon bessere Zeiten erlebt. Corina Liebi, Chefin der Bar- und Clubkommission BUCK, erklärt, woran das liegt, wieso Pop-ups florieren und welche Tipps sie betroffenen Betrieben gibt.
Corina Liebi, wie geht es dem Berner Nachtleben derzeit?
Sehr durchzogen. Viele Betriebe stehen vor gewaltigen Herausforderungen. Vor allem wegen gesellschaftlicher Trends – für stationäre Bars und Clubs ist es häufig schwierig, flexibel auf solche Entwicklungen zu reagieren.
Von welchen Trends sprechen Sie?
Im Ausgang wird weniger Alkohol konsumiert, namentlich von den ganz Jungen. Sie bevorzugen ausserdem Orte, an denen man sich ohne wummernde Bässe unterhalten kann. Kommt hinzu, dass die Teuerung nach wie vor aufs Portemonnaie drückt.
Die klassischen Klubs machen also schwere Zeiten durch?
Ich würde das nicht verallgemeinern, jeder Betrieb steht vor individuellen Herausforderungen. Innerhalb der Branche ist die Heterogenität ziemlich gross. Doch Zwischennutzungen und Pop-ups funktionieren insgesamt schon relativ gut, weil sie den Nerv der Zeit mit ihrem schnelllebigen Angebot besser treffen. Folglich müssen die sich die klassischen Clubs umso mehr ins Zeug legen und sehen sich einer harten Konkurrenzsituation ausgesetzt.
Existiert das häufig zitierte Clubsterben wirklich?
Es war bereits immer so, dass irgendwo eine Tür zuging und an einem anderen Ort wieder eine neue auf. Schliessungen und Eröffnungen halten sich bis jetzt einigermassen die Waage.
Täuscht der Eindruck oder hat sich die Aufmerksamkeit generell weg von Clubs hin zu Bars und Pop-ups verschoben?
Das ist tatsächlich so. Am meisten leiden momentan denn auch die stationären Clubs, wobei wiederum jene im linksalternativen Segment am stärksten betroffen sind.
Wieso gerade diese?
Sie spüren es am heftigsten, wenn die Leute weniger Geld zur Verfügung haben, da ihre Klientel tendenziell weniger vermögend ist. Zudem sind diese Institutionen selten kommerziell ausgerichtet, sprich: Sie stellen ein grosses Angebot an kulturellen Events zur Verfügung, sind aber bezüglich Preisgestaltung kaum rentabel unterwegs. So wird es schwierig, sich ohne staatliche Förderung über Wasser zu halten.
Day Raves sind sehr
beliebt, da viele am
nächsten Tag lieber
ausgeruht aufstehen.Corina Liebi
Wenn sich die Szene in Richtung Bar- statt Clubleben verschiebt, dann trifft das Maison, das früher Düdü hiess, den Nerv der Zeit ziemlich gut.
Absolut. Anderen Veranstaltern wiederum ist diese Transformation, sich mit ihrem Angebot der Generation Z anzunähern, noch nicht gelungen. Deshalb erachte ich es als eine meiner Hauptaufgaben, betroffene Betriebe in diesem Prozess zu unterstützen.
Was zieht die Menschen, abgesehen von Mottopartys, sonst an?
Day Raves sind sehr beliebt, da viele am nächsten Tag lieber ausgeruht aufstehen oder ins Fitness möchten, anstatt bis um vier Uhr morgens durchzufeiern. Wer Kinder hat, kann sich Mami-Partys anschliessen, um am Abend wieder zuhause zu sein. Zahlreiche bereits erprobte Konzepte schwappen in den letzten Monaten von den USA oder Deutschland zu uns herüber. Alle beschäftigen sich mit der Frage: Wie kann man Räume, die normalerweise nur an zwei oder maximal drei Abenden pro Woche gefüllt sind, sonst noch nutzen?
Wie lautet Ihre Antwort?
Im März startet die Bar- und Clubkommission Bern zum Beispiel einen Pilotversuch mit einer BUCK-Night: Wir laden Verantwortliche aus dem Nachtleben wie auch die Öffentlichkeit an jenen Tagen, die weniger gut laufen, dazu ein, ein bestimmtes Lokal, das den Event veranstaltet, zu besuchen und sich dort auszutauschen und zu feiern. Wir möchten damit für mehr Ausgangsleben unter der Woche sorgen, ausserdem haben die Teilnehmenden die Möglichkeit, sich zu vernetzen und sich für eigene Events inspirieren zu lassen. Die BUCK-Night hat sich das Ziel gesetzt, ortstechnisch zu rotieren und damit stets ein anderes, diverses Publikum anzuziehen.
Sie würden also niemandem empfehlen, hier und heute einen Club zu eröffnen?
Doch, aber das hängt vom Konzept ab. Tendenziell wird die Situation in Zukunft allerdings tatsächlich nicht einfacher. Ich glaube, das Wichtigste ist, dass das Angebot den Nerv der Zeit trifft und so ausgestaltet werden kann, dass auch mit grosser Planungsunsicherheit Veranstaltungen durchgeführt werden können, denn gerade Ticketvorverkäufe erweisen sich derzeit als schwierig. Als das Gurtenfestival und die Bernexpo 2023 im Rahmen der «Halle3punkt0» zusammenspannten, fiel das zweite Event-Wochenende ins Wasser, weil zu wenige Tickets verkauft wurden. Das Beispiel zeigt, wie schwierig es ist, genug Leute für eine «normale» Party zu begeistern. Insbesondere dann, wenn sie sich im Vorfeld bereits dazu bekennen respektive Tickets kaufen müssen.
Also ist es doch besser, ein Pop-up ins Leben zu rufen und schon läuft der Laden?
So einfach ist es nicht. Um ein funktionierendes Pop-up zu betreiben, benötigt es ebenfalls eine passende Strategie – das ist bei einem stationären Club nicht anders. Pop-ups haben hingegen den Vorteil, experimentieren und bestimmte Dinge ausprobieren zu können, weil die Betriebskosten deutlich tiefer liegen. Geht etwas schief, wirkt sich das finanziell weniger drastisch aus.
Welche Tipps geben Sie denn jenen Clubs, die Unterstützung benötigen?
Durch den gesunkenen Alkoholkonsum empfiehlt es sich, ein breiteres Angebot an non-alkoholischen Getränken auf die Karte zu setzen. Weiters können Ruheecken geschaffen werden, wo sich die Gäste unterhalten können, ohne pausenlos von Musik beschallt zu werden. Dann finden wie erwähnt spezielle Mottopartys oft Anklang, nicht zuletzt braucht es eine aktive Kommunikation via soziale Medien, um die Follower auf dem neuesten Stand zu halten. Am Ende obliegt es schliesslich den Clubbetreibenden, ob sie den Wandel mitgehen möchten.
Wer macht es in Bern in dieser Hinsicht denn richtig vorbildlich?
Das Bierhübeli erfindet sich immer wieder neu. Zum einen werden neue Formate ins Leben gerufen, gleichzeitig setzt man auf Klassiker wie eine Bravo-Hits-Party. Das Sicherheits- und Litteringkonzept ist hervorragend, genauso wie der Austausch mit den Anwohnenden. Damit wurde über all die Jahre eine treue Stammkundschaft aufgebaut.
Gehört die Berner Clubkultur subventioniert, so wie das in Basel-Stadt passiert?
Aus BUCK-Sicht wäre es wünschenswert, jenen Betrieben, die mit Schwierigkeiten kämpfen, mit einem Förderbeitrag unter die Arme zu greifen. Realistisch betrachtet ist es aufgrund der städtischen Finanzsituation hingegen schwierig, ein solches System zu installieren. Kurzfristig muss es sicherlich das Ziel sein, betroffenen Betrieben schnell und niederschwellig Zugang zu den bereits bestehenden Kulturgeldern der Stadt Bern zu ermöglichen. Mittel- bis langfristig wäre auch eine Förderung nach dem Basler Modell denkbar, allerdings hat die Stadt Bern mit ihrer Kulturbotschaft bewusst alle Spartenkredite zu einem Projekt- und Programmförderungskredit zusammengelegt, aus dem nun eine einzige Kommission die städtischen Kulturgelder vergibt. Vor diesem Hintergrund mutet es etwas seltsam an, wenn nun wieder ein eigener Topf für die Clubkultur geschaffen würde. Die Frage ist viel mehr, wie kann für die Clubkultur ein besserer Zugang zu den bestehenden Fördermitteln hergestellt werden?
Nun existiert bloss noch ein einziger Kulturtopf für alle.
Ja. Mein Wunsch wäre deshalb, dass die Clubkultur als gleichwertige Kultursparte anerkannt wird. Denn das Nachtleben wurde bis anhin nicht als Teil der Kultur, sondern als Wirtschaftszweig betrachtet, was den Zugang zu Kulturgeldern erschwerte. In Bern, so scheint mir, findet diesbezüglich gerade ein Umdenken statt.
Wenn wir nicht damit
anfangen den Clubs unter die Arme zu greifen,
könnte sich das Feld
weiter lichten.Corina Liebi
Wurde das Nachtleben auch deshalb kaum beachtet, weil es einen schlechten Ruf hat?
Nein, es wird als sehr angenehm wahrgenommen. Das Sicherheitsgefühl ist, abgesehen von den Entwicklungen auf der Schützenmatte in den vergangenen Monaten, hoch.
Erleben Frauen im Ausgang in Bern oft sexuelle Übergriffe?
Sexualisierte Gewalt kann überall und jederzeit passieren, nicht nur in Clubs. Mit Awareness-Konzepten wird versucht, solche Vorfälle auf ein Minimum zu reduzieren. Die Stadt Bern hat kürzlich ein neues Security-Konzept implementiert, das die Veranstalter verpflichtet, sich ganzheitlich Gedanken zur Sicherheit zu machen. Zudem läuft in Bern ja seit längerem eine Sensibilisierungskampagne.
Sie selbst fühlen sich im Ausgang wohl?
Ja, absolut.
Was denken Sie, geht es dem Berner Nachtleben in einem oder zwei Jahren besser?
Das ist eine schwierige Frage. Wenn wir nicht rasch damit anfangen, den Clubs unter die Arme zu greifen, könnte sich das Feld weiter lichten. Das ist traurig, aber halt auch der Lauf der Zeit. Wichtig wäre, dass wir als Stadt einmal definieren, welches Angebot wir hier überhaupt haben möchten, um dann gezielt Unterstützungsmassnahmen zu treffen.
Zum Schluss: Wie abwechslungsreich ist das Berner Nachtleben – etwa im Vergleich mit Zürich oder Basel?
Für mich prima, ich finde hier alles, was ich mir wünsche. Wer jedoch ein enorm vielfältiges Angebot mit einer riesigen Clubdichte innerhalb kleinerer Distanzen sucht, wird in Zürich sicher schneller fündig. Ich bin gespannt, ob sich aufgrund des geplanten ausgebauten Nachtzugangebotes zwischen Bern und Zürich etwas verändert. Mich würde wirklich wundernehmen, was passieren würde, wenn Züge innerhalb des Kantons öfter nach Bern verkehrten. Das ist aber leider nicht angedacht.
Fotos: Daniel Zaugg