Der Autobahnausbau sei viel zu teuer, behaupten die STEP-Gegnerinnen und -Gegner. Und er führe zu noch mehr Stau. Verkehrsminister Albert Rösti hält im grossen BärnerBär-Interview dagegen.
Albert Rösti, wie oft sind Sie dieses Jahr bereits im Stau gestanden?
Puh, schwierig zu sagen … (überlegt) wohl schon dutzende Male, denn ich bin häufig auf der A1 unterwegs. Bei Gelegenheit nehme ich deshalb den Zug.
Kolonnenverkehr nervt wohl alle Autofahrenden – und er hat in letzter Zeit deutlich zugenommen.
Ja. 2023 standen Schweizerinnen und Schweizer total 48 000 Stunden im Stau, in den Jahren zuvor waren es deutlich weniger. Das hat mit der Bevölkerung und dem gestiegenen Mobilitätsbedürfnis zu tun: Als ich 1967 geboren wurde, lebten in der Schweiz zirka sechs Millionen Menschen, heute sind es neun. Das Autobahnnetz seinerseits wurde in den 60er-Jahren konzipiert und benötigt regelmässige Anpassungen, um das Verkehrsaufkommen zu bewältigen.
Welche Bedeutung hat STEP verglichen mit anderen Verkehrsprojekten der Vergangenheit?
Eine sehr grosse. Es ist, was den Privat- und Güterverkehr anbelangt, eines der prioritären Projekte. Die Autobahnen sind die Schlagadern für die Wirtschaft, obschon sie nur gerade drei Prozent aller Strassen ausmachen – doch auf ihnen verkehren 40 Prozent des Individual- und 70 Prozent des Güterverkehrs. Eines möchte ich in diesem Zusammenhang betonen.
Bitte.
STEP ist sicherlich eines der zentralen Projekte in meinem Departement – gemeinsam mit dem Bahnausbau. Ich ziehe den Privatverkehr nicht dem ÖV vor.
Zwei Projekte des STEP-Ausbauschritts 2023 betreffen Stadt und Region Bern. Inwiefern würde deren Bevölkerung von einem Ja profitieren?
In erheblicher Weise. Zwei der geplanten Projekte betreffen direkt die Region: A1 Wankdorf-Schönbühl und A1 Schönbühl-Kirchberg. Diese Ausbauten zielen darauf ab, bestehende Engpässe zu beseitigen und den Verkehrsfluss zu verbessern. Der Ausweichverkehr kommt zurück auf die Autobahn, was wiederum positive Auswirkungen auf die Lebensqualität, die Verkehrssicherheit und die wirtschaftliche Entwicklung hätte. Zudem würde der Ausweichverkehr durch Ortschaften reduziert, was die Sicherheit auf Schulwegen und Hauptstrassen erhöhen würde.
Der Ausbauschritt 2023 kommt also auch dem Grossraum Bern zugute. Trotzdem dürfte die Stimmbevölkerung wohl ein Nein einlegen. Ist das nicht etwas widersprüchlich?
Der Ausbauschritt 2023 bringt tatsächlich Vorteile für den Grossraum Bern, und es wäre in der Tat widersprüchlich, wenn die Stimmbevölkerung dagegen stimmen würde. Die Verkehrspolitik der Stadt Bern, die Velo und öffentlichen Verkehr priorisiert, funktioniert gerade deshalb so gut, weil die umliegenden Autobahnen den Verkehr effektiv aufnehmen und lenken können. Diese Infrastruktur ermöglicht es der Stadt, ihre innerstädtische Verkehrspolitik umzusetzen, ohne den Gesamtverkehrsfluss zu beeinträchtigen.
Mehrere Agglomerationsgemeinden wie etwa Zollikofen sehen den Autobahnausbau kritisch, obwohl sie bereits jetzt im Verkehr ersticken. Haben Sie Verständnis dafür?
Ich habe Verständnis für die Bedenken der Agglomerationsgemeinden. Der Ausbau von Verkehrsinfrastrukturen ist immer ein sensibles Thema, das sorgfältig abgewogen werden muss. Wir wollen jedoch genau verhindern, dass die Agglomerationen zunehmend belastet werden. Der geplante Ausbau zielt darauf ab, die bestehenden Engpässe zu beseitigen und den Verkehrsfluss zu verbessern. Damit wollen wir den Ausweichverkehr auf Kantons- und Gemeindestrassen reduzieren. Das ist für die Agglomerationsgemeinden von Vorteil.
Wieso müssen eigentlich gerade die Abschnitte Wankdorf-Schönbühl und
Schönbühl-Kirchberg entlastet werden, respektive wieso staut es gerade dort so häufig?
Die Abschnitte Wankdorf-Schönbühl und Schönbühl-Kirchberg sind neuralgische Punkte im Berner Verkehrsnetz. Sie sind Teil der stark befahrenen A1, die zu den am stärksten belasteten Nationalstrassenabschnitten der Schweiz gehört. Die häufigen Staus dort entstehen durch eine Kombination von Faktoren: hohes Verkehrsaufkommen zu Pendlerzeiten, Einmündungen von Zubringerstrassen und die begrenzte Kapazität der bestehenden Infrastruktur. Das Verkehrsaufkommen auf dem Nationalstrassennetz hat sich seit 1990 mehr als verdoppelt, was zu regelmässigen Überlastungen führt.
Die sechs STEP-Projekte kosten 5,3 Milliarden Franken. Das ist ziemlich viel Geld.
Das ist relativ wenig, wenn man bedenkt, dass, wie erwähnt 70 Prozent des Güterverkehrs auf den Nationalstrassen abgewickelt werden. Dazu ist die Flächeneffizienz von Strassen zweieinhalb Mal grösser als bei der Bahn, weil die Züge die Schienen mit zeitlichem Abstand benutzen müssen, währenddem die Strasse kontinuierlich befahren wird. Daher sind diese Investitionen gerechtfertigt – auch, weil sie für die Bewältigung des Verkehrs mindestens für die nächste Generation ausgelegt sind.
Das Geld ist also bereits vorhanden?
Durch die Mineralölsteuer, ja. Der Bund muss folglich keine zusätzlichen Ausgaben tätigen, so sieht es der Nationalstrassen- und Agglomerationsfonds NAF vor. Im Gegenteil äufnen Autofahrende mit ihren Ausgaben via die Mineralölsteuer die allgemeine Staatskasse mit jährlich über einer Milliarde Franken. Was bleibt, geht in den Strassenbau und -unterhalt. Sprich: Die Autobahnen werden zu hundert Prozent durch die Autofahrenden finanziert, bei der Bahn liegt diese Quote durch Ticketverkäufe bei etwa 50 Prozent.
Wenn Sie also jemand auf der Strasse fragt, ob ihn oder sie STEP etwas kostet, was antworten Sie dann?
Wer ein Auto benutzt, bezahlt entsprechend der Anzahl Kilometer, die er oder sie fährt, via das gezapfte Benzin seinen Anteil Mineralölsteuer. Wer nur Velo fährt, bezahlt nichts.
Manche behaupten, mehr Strassen führten zu mehr Verkehr.
Autobahnen sind im Grunde genommen grossräumige Umfahrungen von urbanen Zentren. Weil moderne Navigationssysteme Staus heute oft ausweichen, blockieren die Autos dann die Strassen in den Dörfern. Klar wird durch den Ausbau der Autobahnen der Verkehr auf den Nationalstrassen zunehmen, doch exakt das möchten wir ja. Wir wollen den Verkehr aus den Dörfern wieder auf die Nationalstrassen zurückverlagern. Gesamthaft hingegen wird der Verkehr vom Volumen her gleichbleiben, denn es werden ja die gleichen Strecken befahren. Eine neue Strasse kann zu neuen Verkehrsbedürfnissen führen, ein Ausbau des Netzes nicht.
Also ist diese These völlig an den Haaren herbeigezogen?
Die Bedürfnisse, von A nach B zu gelangen, bleiben dieselben. Ausserdem bauen wir parallel dazu die Bahnkapazitäten aus, es muss also niemand wegen des Strassenausbaus umsteigen. Wir investieren in den nächsten 20 Jahren insgesamt übrigens mehr in die Schiene als in die Strasse. Deshalb würde ich diesem Argument widersprechen.
«Die Autobahnen
sind die Lebensadern
der Wirtschaft.»Albert Rösti
Die grösste Kritik kommt aus dem links-grünen Spektrum.
Dabei müsste gerade diese Seite STEP befürworten. Ständiges Anfahren und Bremsen führt zu deutlich mehr Schadstoffausstossen, als wenn der Verkehr fliesst. Zweitens ist eine der grössten Unfallursachen Stau. Drittens werden Agglomerationen entlastet. Ich fuhr gestern von meinem Büro nach Münchenbuchsee. Weil die Autobahn verstopft war, wich ich auf die Strecke via Zollikofen aus, die sowieso schon oft dicht ist.
Gegnerische Stimmen sagen weiter: STEP ist erst der Anfang. Bei einem Ja folgt gleich der nächste Ausbau.
Nun, die Bevölkerung wächst weiter, weitere Anpassungen werden in Zukunft wohl unumgänglich sein. Diesmal reden wir hingegen von STEP. Mögliche neue Projekte benötigen einen Parlamentsbeschluss, zudem kann dagegen das Referendum ergriffen werden.
Mit STEP werden Sie allerdings nie sämtliche Verkehrsprobleme lösen.
Nein, doch STEP ist mehr als nur ein Tropfen auf den heissen Stein. Vor allem sind es sechs Projekte, die zügig umgesetzt werden können.
Selbst innerhalb Ihrer Partei, der SVP, regen sich kritische Stimmen gegen STEP, namentlich wegen des Verlusts von Kulturland.
Diese Stimmen gibt es, es sind allerdings wenige. Wichtig zu betonen ist, dass es bei drei der sechs STEP-Projekte um Tunnels geht, die unter dem Boden gebaut werden. Bei den anderen drei Projekten reden wir von 8,8 Hektaren Fruchtfolgefläche, die verschwinden; das ist rund ein Drittel der Fläche eines normalen Landwirtschaftsbetriebes. Gleichzeitig sind wir gesetzlich dazu verpflichtet, andere Böden, die heute schlecht bewirtschaftet werden, zu Fruchtfolgeflächen aufzuwerten. Es wird also probiert, die 8,8 Hektare möglichst eins zu eins zu ersetzen, was punktuell vielleicht nicht immer sofort umsetzbar sein wird. Erlauben Sie mir hierzu noch eine Bemerkung.
Gerne.
8,8 Hektare sind ein geringer Verlust im Vergleich zum Nutzen der Betroffenen. Lastwagen spielen für Bauernhöfe eine zentrale Rolle – sowohl bei der Zulieferung beispielsweise von Dünger oder Futtermittel, wie beim Abtransport der Produkte zurück zu den Konsumentinnen und Konsumenten. Die Landwirtschaft ist also enorm auf funktionierende Nationalstrassen angewiesen.
Namentlich bei den Tiertransporten.
Bei uns existieren klare Vorschriften, wie lange Schlachttiere maximal transportiert werden dürfen. Also sollten gerade Tierschützer ein Interesse daran haben, dass die Fahrzeuge, bei drückender Hitze zum Beispiel, nicht zu lange im Stau stehen.
Diverse Medien vermeldeten vor einigen Wochen, der Bund operiere beim Autobahnausbau mit «falschen Zahlen». Werden solche Schlagzeilen für einen Meinungsumschwung bei der Bevölkerung sorgen?
Unsere Zahlen stimmen, das können wir belegen. Am Ende des Tages sind aber weniger die einzelnen Zahlen entscheidend, sondern der Fakt, dass wir ein Stauproblem haben. Angst macht mir eher eine mögliche Emotionalisierung der Debatte: Die Ausmasse der «Verbetonierung» könnten überschätzt und zu stark gewichtet werden. Das Argument, wonach STEP der Umwelt schade, lasse ich sowieso nicht gelten.
Wie meinen Sie das?
STEP ist ein Zukunftsprojekt, das insbesondere auch der E-Mobilität zugutekommen soll. Und man sollte daran denken, dass ein Grossteil des ÖV ebenfalls die Strasse benutzen muss.
Bei einem Nein dürften es wiederum weitere Projekte in Zukunft schwer haben.
Das Ergebnis müsste natürlich zuerst analysiert werden. Selbst bei einem Nein dürfen wir nicht einfach die Hände in den Schoss legen. Es würde uns aber erhebliche Probleme bereiten.
Zum Schluss: Was ist Ihr bestes Argument für die Vorlage?
Die Autobahnen sind die Lebensadern der Wirtschaft und des Individualverkehrs. Ihr Ausbau ist dringend nötig, um das Bevölkerungswachstum ordentlich zu bewältigen.
Von einem Ausbau der Nationalstrassen profitieren also alle?
Bis auf jene Ausnahmen, die ein wenig Land abgeben müssen, profitieren alle, ja – selbst jene, die nie Auto fahren.
Der Abschnitt Wankdorf-Schönbühl soll auf acht Spuren erweitert werden. Foto: Keystone/Anthony Anex