Valentina Achermann (SP) wünscht sich einen respektvollen Umgang im Stadtparlament und möchte in ihrem Präsidialjahr die Politik zugänglicher machen. Wie sie das umsetzen will, verrät sie unter anderem im BärnerBär-Gespräch.
Valentina Achermann, warum treffen wir uns gerade hier im Kulturzentrum Stellwerk in Bern?
Das Stellwerk ist ein neues Kulturzentrum, das im Juni 2023 eröffnet wurde. Ich bin seit drei Jahren im Vorstand des Vereins. Dieser Ort bedeutet mir viel. Es ist ein Ort, der sich entwickelt, und zwar mit dem Ziel, dass sich junge Menschen selber einbringen und mitgestalten können. Obwohl wir besonders junge Menschen ansprechen, sind alle Altersklassen willkommen. Alle sollen voneinander lernen können.
Als geborene Nidwaldnerin ist Bern Ihre Wahlheimat. Sind Sie in der Stadt Bern angekommen?
(Strahlt) Absolut! Ich habe mich bisher noch nirgends so wohl und zuhause gefühlt wie in der Stadt Bern.
Was erzeugt denn derart Ihr Heimatgefühl in Bern?
Ich kann es kaum beschreiben, aber das Gefühl entsteht jedes Mal, wenn ich mit dem Zug über die Eisenbahnbrücke im Bahnhof Bern einfahre. Einerseits ist es die wunderschöne Altstadt, die Aare und die Lage der Stadt und andererseits das gesellschaftliche und politische Leben in Bern mit den offenen Menschen. Die Lebensqualität hier ist enorm hoch.
In welchen Lokalen halten Sie sich besonders gerne auf?
Neben dem Stellwerk sind es die Drei Eidgenossen an der Rathausgasse, das Café des Pyrénées am Kornhausplatz und die Caffè Bar Riva am Egelsee. Ausserhalb der Stadtgrenzen halte ich mich gerne in der Heitere Fahne in Wabern auf.
Nach dem Lob für Bern: Gibt es auch etwas, was Sie stört?
Die erwähnte Caffè Bar Riva am Egelsee konnte wegen Einsprachen erst nach einigen Jahren Verzögerung endlich im Frühjahr 2023 eröffnet werden. Diese Einsprachen haben das Projekt unnötig verzögert. (Überlegt) Zudem – das ist zwar kein berntypisches Problem – gibt es auch hier Gassen, wo ich mich als Frau nachts nicht ganz sicher fühle.
Wie sind Sie politisiert worden?
Durch die Initiativen der SVP! Die Minarett- und die Ausschaffungsinitiative haben bei mir Empörung und Unverständnis ausgelöst, was mich veranlasste, mich mit migrationspolitischen Themen zu befassen. Ich stamme nicht aus einem sogenannten klassischen politischen Elternhaus; ich bin sicher die «Linkste» in meiner Familie. Meine Mutter ist zwar sehr feministisch, aber ich habe das lange gar nicht wahrgenommen, weil es für mich immer selbstverständlich war. Erst viel später realisierte ich, dass ich eigentlich feministisch erzogen wurde. Bei meiner Mutter manifestiert sich Feminismus nicht auf intellektuelle Art und Weise, sie lebt ihn einfach vor.
In diesem Jahr sind Sie höchste Stadtbernerin. Worauf freuen Sie sich?
Ich bin nun seit drei Jahren im Stadtrat und ich darf heute sagen, dass ich jedes Mal mit grosser Freude an den Sitzungen teilnehme. Es ist für mich eine Ehre, dass ich in diesem Jahr das Parlament präsidieren darf. Ich freue mich auch auf den Austausch mit verschiedenen Menschen ausserhalb des Stadtrats, die ich sonst wohl nie treffen würde.
Haben Sie auch Befürchtungen?
Ich habe mir das auch überlegt. Aber grosse Bedenken habe ich keine. Ich werde sicher Fehler machen, aus denen ich lernen kann. Ich bin ein Fan von Fehlerkultur, sowohl bei mir als auch bei anderen. Ich erhebe keinen Anspruch auf Perfektion.
Wie konnten Sie sich auf Ihre neue Aufgabe vorbereiten?
Man weiss ja als zweite und danach als erste Vizepräsidentin, dass man dereinst Präsidentin wird, sofern alles nach Plan läuft. So hat man genügend Zeit, sich vorzubereiten. Ich erfahre auch eine riesige Unterstützung durch das Ratssekretariat.
Welches Ziel haben Sie sich als Stadtratspräsidentin gesetzt?
Ich möchte mich mit der Frage befassen, wie man Politik zugänglicher gestalten könnte. Das betrifft einerseits die Vereinbarkeit mit dem Mandat eines Milizparlaments. Wir haben eine hohe Fluktuation im Stadtrat. Darum haben wir diesbezüglich eine Umfrage bei allen Stadtratsmitgliedern gestartet, um anschliessend Verbesserungsmöglichkeiten zu prüfen. Andererseits finde ich es wichtig, der Stadtbevölkerung die Arbeit des Parlaments näher zu bringen. Wir treffen relevante Entscheidungen, welche die Menschen direkt betreffen.
Was werden Sie als Sitzungsleiterin anders machen als Ihr Vorgänger?
Mein Vorgänger Michael Hoekstra zeichnete sich unter anderem dadurch aus, dass er immer ruhig geblieben ist und absolut souverän durch die Sitzungen führte. Es gibt für mich daher keinen Grund, etwas anders zu machen. Mir ist wichtig, dass wir einen respektvollen Umgang pflegen im Parlament.
In Ihrem Präsidialjahr werden Sie sich inhaltlich zurücknehmen müssen. Wie schwer fällt Ihnen das?
Ich denke, ich werde es schaffen, mich ein Jahr lang inhaltlich zurückzunehmen. Das wusste ich und ich konnte mich darauf einstellen.
Zurzeit arbeiten Sie im Ambulatorium für Folter- und Kriegsopfer des SRK. Welches sind hier Ihre Kerntätigkeiten?
Es handelt sich um eine ambulante psychotherapeutische Behandlung für Menschen, die Flucht, Krieg oder Folter erlebt haben. Diese Menschen behandeln wir mit Traumatherapie, also die Verarbeitung ihrer traumatischen Erlebnisse. Ich bin für die Kinder und Jugendlichen zuständig, aber auch häufig für deren Eltern.
Wie belastend empfinden Sie diese Arbeit?
Ich bin noch nicht ganz am Punkt angelangt, wo ich mich in der Freizeit ganz abgrenzen kann. Es ist tatsächlich manchmal belastend. Ich lerne gegenwärtig Strategien, um besser damit umgehen zu können. Aber ich bin glücklich und dankbar, eine sehr sinnstiftende Arbeit verrichten zu dürfen.
Wie sehen Sie Ihre politische Zukunft? Gibt es dereinst eine Gemeinderätin Achermann?
(Lacht) Die Frage musste ja kommen! Das ist zurzeit kein Thema, da ich mich auf meinen Beruf fokussieren möchte und ich sehr gerne Stadträtin bin. Die Arbeit als Grossrätin würde mich aber schon auch interessieren.